Mit
großer Spannung war das Rollendebüt von Jonas Kaufmann als
Titelheld in Verdis Otello erwartet worden. Der Startenor hatte
für diesen wichtigen Schritt in seiner Karriere das Royal Opera
House Covent Garden gewählt – wegen Antonio Pappano, wie er in
einem Interview, das als Bonus der DVD-Ausgabe von Sony
beigefügt ist, selbst bekundet. Der Chefdirigent des Londoner
Opernhauses erweist sich in der Tat als Motor dieser
spannungsreichen Aufführung, setzt schon mit der furiosen
Sturmszene, welche die Oper eröffnet, einen gewichtigen Akzent.
Mit sicherem Gespür bringt er die Höhepunkte des Werkes zu
gebührender Wirkung, arbeitet mit dem Orchestra of the Royal
Opera House aber auch viele Details heraus. Der Royal Opera
Chorus (William Spaulding) singt im Eingangschor mit machtvoller
Fülle und ist grandios im ausgedehnten Ensemble beim Empfang des
venezianischen Gesandten.
Kaufmanns Titelheld besticht
durch seine stattliche Statur, die beredte Mimik und
faszinierende Aura. Sein Gesang besitzt Energie und Autorität,
aber auch virile Sinnlichkeit. Das bronzene Timbre ist ideal für
die Partie und bringt schon dem „Esultate!“ im Auftritt die
gebotene Wirkung. Seine Spitzentöne besitzen Strahlkraft, die
Ausbrüche der Eifersucht und Verzweiflung vehemente Kraft und
eherne Wucht. Nur die Mittellage müsste an Volumen und Power
zunehmen. Von schier berstender Stimmführung ist das Schwurduett
mit Jago; dagegen könnte der Monolog zu Beginn des 3. Aktes,
„Dio! mi potevi“, an differenzierter Ausdeutung des Textes noch
gewinnen und findet erst gegen dessen Ende zu suggestiver
Wirkung. Nach dem großen Ensemble mit Lodovico werden die
pathologischen Zeichen in Otellos Wesen deutlich, die sich beim
Mord an Desdemona zu animalischer Brutalität steigern. Seine
Todesszene, von der Regie leider allzu naturalistisch
bluttriefend gezeichnet, ist das erschütternde Zeugnis eines
Gebrochenen, der die Worte nur noch zu stammeln vermag.
Das Niveau des Tenors erreichen seine Partner nicht. Marco
Vratogna ist ein teuflischer Jago von dämonisch-finsterer Aura,
der seine Intrige genüsslich ausbreitet, am Ende sogar noch
Emilia tötet, um sie zum Schweigen zu bringen. Der Gesangsstil
des italienischen Baritons ist eher veristisch. Im Brindisi hat
die schwere Stimme Mühe, die kurzen Notenwerte korrekt zu
treffen. Von heftigen Akkorden des Orchesters wird sein Credo
eingeleitet, das er charaktervoll ausdeutet, in der Tiefe
allerdings etwas brüchig klingt. Die Nachterzählung ist erfüllt
von Spott und Zynismus – vor allem in den Parlando-Passagen der
Partie überzeugt der Sänger.
Eine solide, aber keineswegs
exzeptionelle Leistung bietet Maria Agresta als Desdemona mit
schlankem Sopran von leuchtender Höhe, aber recht anonymem
Timbre. Im Quartett des 2. Aktes ist ihre Tongebung etwas vage,
in der großen Auseinandersetzung mit Otello im 3. fehlt der
Stimme die Substanz in der Tiefe. Den stärksten Eindruck
hinterlässt sie in der Canzone del Salice, die sie in schöner
Schlichtheit interpretiert, dennoch mit starker Empfindung und
visionärem Ausdruck ausfüllt. Sorgfältig besetzt sind die
Nebenrollen mit Frédéric Antoun als Cassio von stattlicher
Männlichkeit und gar nicht verzärteltem, sondern substanzreichem
lyrischem Tenor, Kai Rüütel als Emila mit einer extravaganten,
der Quickly gut anstehenden Haarpracht und energischem Mezzo
sowie In Sung Sim als Lodovico mit schöner Basswürde.
Keith Warners Inszenierung ist von statischer Art mit
Chortableaus an der Rampe und bietet einige seltsame Einfälle,
wie die beiden Tänzerinnen beim Madrigal oder Desdemonas
geisterhafter Auftritt aus der Tiefe im 3. Akt. Die Bühne von
Boris Kudlicka mit verschiebbaren, ornamentierten Wänden ist von
asketischer Strenge. Nur in wenigen Momenten wird diese durch
schmückende Elemente aufgelockert – das im Hintergrund
hereinfahrende Schiff Otellos in der Sturmszene, die Projektion
eines blauen Nachthimmels zum Liebesduett, ein Denkmal des
geflügelten venezianischen Löwen im 3. Akt. Die der Renaissance
nachempfundenen Kostüme von Kaspar Glarner sind einfallsreich
und opulent. Vor allem Desdemona ist prachtvoll gewandet,
zumeist in strahlendem Weiß, wie beim Liebesduett. Bezaubernd
ist das duftige, mit Blüten bestickte Kleid im 2. Akt, während
die königliche Robe beim Empfang von Lodovico der Sängerin eine
ältliche Ausstrahlung verleiht. Auch Otellos letztes, fast
futuristisches Kostüm – ein langer blauer Mantel mit silbernen
Karos, das ihn eher als Calaf erscheinen lässt – gehört zu den
weniger stimmigen Erfindungen.
Jonas Kaufmann will
Otello, den er als den „Mount Everest“ in seiner Karriere
bezeichnet, in seinem Repertoire behalten (im Gegensatz zu
Manrico und Radamès) und ihn in einer Neuproduktion an der
Bayerischen Staatsoper München zum zweiten Mal singen. Auf die
bei diesem Sänger zu erwartende Weiterentwicklung der Rolle darf
man gespannt sein
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