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SWR 2, 17.9.2021 |
Christoph Vratz |
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Jonas Kaufmann und sein neues Album mit Liedern von Franz Liszt |
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Corona
hat selbst die namhaftesten Vertreter*innen des internationalen
Musikgeschäfts ausgebremst. Einige von ihnen haben jedoch die unfreiwillige
Pause produktiv genutzt. So auch der Tenor Jonas Kaufmann.
Er hat
sich zusammen mit dem Pianisten Helmut Deutsch einem seiner
Lieblingskomponisten gewidmet: Franz Liszt. „Freudvoll und leidvoll“ heißt
das neue Album, Christoph Vratz hat es sich angehört.
Ein Album mit
Kontrasten
„Vergiftet sind meine Lieder“ – so einen Gedichtanfang
findet man eigentlich nur bei Heinrich Heine. Franz Liszt hat das
eindrucksvolle in Musik gesetzt: mit beißender Harmonik und einer Art
Aufschrei des Sängers. Und Jonas Kaufmann lässt sich nicht lange bitten:
lautstark – als stehe irgendwo Verdis Otello im Hintergrund. So kennen wir
Kaufmann, so wird er geschätzt.
Doch der Kontrast lässt nicht lange
auf sich warten: „Freudvoll und leidvoll“ lautet der Titel, der auch
Kaufmanns neuem Album als Titel dient: Franz Liszt hat gleich zwei
Vertonungen dieses Gedichts im Angebot.
Aufnahmen mit Liszt-Liedern
eher selten
Es ist schon ungewöhnlich, dass ein Sänger vom Kaliber
Kaufmann dem eher selten beachteten Liedkomponisten Franz Liszt ein ganzes
Album widmet. Wo die besonderen Qualitäten dieses Repertoires liegen,
erklärt übrigens Pianist Helmut Deutsch ausführlich im Beiheft.
An
Text-Vorlagen mit Hit-Charakter mangelt es ohnehin nicht. „Über allen
Wipfeln ist Ruh‘“, „Es war ein König in Thule“, „Die Loreley“, – lauter
bekannte Titel, nur die Vertonungen durch Liszt sind eher wenig bekannt.
Kaufmanns Stimme hat sich weiterentwickelt
Ein schöner
Nebeneffekt des ausgewählten Programms ist, dass in zwei Fällen jeweils zwei
unterschiedliche Vertonungen desselben Textes zu hören sind – eine seltene
Gelegenheit zum Vergleich.
Was aber geschieht musikalisch? Zugegeben,
ich hatte mit dem Lied-Sänger Jonas Kaufmann bei früheren Einspielungen hier
und da meine Probleme; etwa wenn er leise Stelle hauchig gestaltet oder in
leiseren Passagen seine Stimme, gerade in den oberen Tonregionen,
angestrengt wirkt.
Nun hat sich seine Stimme in den letzten Jahren
logischerweise weiterentwickelt, sie ist schwerer geworden, Wagner-lastiger
könnte man sagen. Umso beachtlicher, wie Kaufmann jetzt beispielsweise den
sanft-mysteriösen Beginn des „Königs in Thule“ gestaltet.
Farbenreiche Darstellung von Helmut Deutsch
Geht doch, könnte man
sagen: kein Hauchen, keine Anstrengung, dazu textverständlich und mit einer
gewissen Grundwärme. Auch die dramatischen Abschnitte fängt Kaufmann
überzeugend ein.
Gleichzeitig kommt etwas hinzu, was diese
Einspielung im Ganzen auszeichnet: Das Zusammenspiel mit dem Pianisten.
Helmut Deutsch gelingt eine farbenreiche Darstellung, man könnte es fast
Orchestrierung nennen. Das ist großartig, etwa wenn sich die Gesangsstimme
in tieferen Regionen bewegt und der Diskant des Klaviers hell darüber
leuchtet.
Am Ende wird Kaufmann zum Poeten
Zugegeben, anfangs
war ich ein wenig skeptisch, ob mich Kaufmann mit dieser Aufnahme überzeugen
kann. Doch die Liszt-Lieder bilden ein Repertoire, dass ihm liegt. Frühere
Schwachpunkte sind zwar nicht ganz verschwunden, aber offenbar hat der Tenor
sie besser im Griff.
So gelingen auch die ariosen Passagen in den
drei Sonetten nach Petrarca, die am ehesten in ihrer Fassung für Klavier
solo bekannt sind. Und ein bisschen Opern-Attitüde darf’s dann in dieser
Lied-Version auch mal sein. Am Ende wird Kaufmann gar zum Poeten – in Liszts
Vertonung von Goethes „Wandrers Nachtlied“.
Kein Album für den großen
Kommerz?
Vielleicht kommt es ja anders, denn der Name Kaufmann zieht
immer. Viel wichtiger aber: Man findet nicht viele wirklich gute Aufnahmen
mit Liszt-Liedern. Hier ist eine!
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