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Klassik.com,
11.05.2005 |
Dr. Franz Gratl |
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Besser als die CD
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Diese
Live-Aufnahme dokumentiert eine Aufführung von Beethovens Fidelio im
Opernhaus Zürich am 15. Februar 2004. Nikolaus Harnoncourt hat seine Sicht
des in einer von der Kritik durchaus kontrovers aufgenommenen Aufnahme
dargelegt (Teldec 1995). In den zehn Jahren, die zwischen der CD-Produktion
und dem Opernabend liegen, hat sich Harnoncourts Deutung weiterentwickelt.
Vom Ensemble der CD-Einspielung ist einzig László Polgár als Rocco
übriggeblieben. Die Besetzung des DVD-Opernabends halte ich fast durchwegs
für besser: Besonders gilt dies für den Don Pizarro, der bei ‘Harnoncourt
1995’ in der Interpretation von Sergej Leiferkus praktisch zur Karikatur
verkommt; der Russe ist des Deutschen einfach nicht mächtig (‘Äär
stäärbä’...), klingt grob und unsicher. Alfred Muff in ‘Harnoncourt 2004’
ist ein rollendeckender, profunder Pizarro mit makelloser Diktion.
Warum muss Leonore eine Hochdramatische sein?
Auch Charlotte Margiono, die in der Einspielung von 1995 die Leonore sang,
kämpfte mit dem Deutschen und war auch stimmlich hörbar stark gefordert. Die
auf der DVD zu hörende Camilla Nylund ist zwar keine ‘Hochdramatische’, aber
dennoch eine erstklassige Leonore. Sie bewältigt die enormen Anforderungen
der Rolle bravourös und verfällt nie ins Schreien wie viele ihrer
Kolleginnen. Warum sollte Leonore auch mit einer Wagner-Heroine besetzt
werden? So weit war man 1814 von Mozart und Belcanto doch nicht entfernt!
Also eine gute Wahl von Harnoncourt und eine hervorragende Leistung von
Camilla Nylund. In der großen Arie ‘Komm, Hoffnung, lass den letzten Stern’
vermag sie beispielsweise durch innige Töne zu berühren.
Der Florestan war bereits 1994 mit Peter Seiffert hochkarätig besetzt;
Seiffert gehört mit Sicherheit zu den besten Florestans auf Platte überhaupt
und verfügt über eine beeindruckende Ausdruckspalette. Umso positiver
überrascht war ich von dem mir bislang unbekannten Jonas Kaufmann, der
Seiffert durchaus das Wasser reichen kann. Er singt kultiviert und
ausdrucksvoll, dabei aber niemals grob. Dass Harnoncourt wiederum László
Polgar besetzt hat, ist mir unverständlich, denn der Ungar mit seinem
Charakterbariton zählt zu den Schwachpunkten der Aufnahme. Die Stimme klingt
unschön, grobschlächtig und eindimensional; außerdem tut sich auch Pólgár
schwer. Die Marzelline ist in der älteren Aufnahme mit Barbara Bonney
prominenter besetzt, aber Elizabeth Rae Magnusson (ist das ein Pseudonym für
Harnoncourts singende Tochter Elisabeth von Magnus???) ist keineswegs
schlechter. Vor allem erfreut sie mit einer ungemein fein differenzierten
Interpretation von ‘O wär‘ ich schon mit dir vereint’. Überhaupt ist die
Deutung Harnoncourts ungemein akribisch im Herausarbeiten von Zwischentönen
und musikalischen Charakteren.
Orchestral hochklassig und ausgefeilt
Aus dem Orchestergraben ist nur Positives zu vernehmen: Das Orchester des
Opernhauses Zürich zeigt sich bestens disponiert, die Interpretation ist
unter Harnoncourts mitreißend engagiertem Dirigat farb- und affektreich.
Gleich in der Ouvertüre entwickelt er eine Stringenz, die dieses
hochdramatische Stück endlich aus dem Schatten der ‘Leonore III’ befreit.
Selbstverständlich gibt es auch hier wieder interpretatorische Eigenheiten,
die mit Aufführungstraditionen brechen, immer aber scheinen sie nach der
‘Umgewöhnung’ legitim. Ein Beispiel dafür ist das gebremste Tempo des Duetts
‘O namenlose Freude’, das musikalische Feinheiten zutage treten und den
Sängern etwas mehr Atem lässt. Im Booklet zu der CD-Einspielung von 1995 hat
Harnoncourt ausführlich dafür plädiert, den ‘Fidelio’ vor allem als Oper
über die eheliche Treue zu sehen und den Charakter der Rettungsoper mit
politischen Konnotationen zurücktreten zu lassen.
Szenisch: Kargheit und Düsternis
Offenbar hat der Regisseur der Zürcher Aufführung, Jürgen Flimm,
Harnoncourts Deutung weitgehend übernommen. Die Personenführung steht im
Vordergrund, Bühnenbild und Maschinerie sind aufs Äußerste reduziert. Die
Reduktion geht sogar vielleicht etwas zu weit: Alles ist düster, sogar die
Kostüme, die Personen bewegen sich wenig, Statik herrscht vor. Mit der
differenzierten musikalischen Deutung Harnoncourts kann die Regie nicht
mithalten, es entsteht eine gewisse Diskrepanz.
Technisch und klanglich ist die CD erstklassig; das Booklet hat endlich
einmal zumindest die Qualität eines soliden CD-Booklets – häuffig fallen ja
DVD-Booklets deutlich ab, was den Informationsgehalt betrifft. Die DVD kann
durchaus empfohlen werden als Dokument einer subtilen, differenzierten
Deutung von Beethovens Opern-Meisterwerk.
Kritik von Dr. Franz Gratl, 11.05.2005 |
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