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Fono Forum, November 2016 |
Jürgen Kesting |
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Dolce Vita |
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"Wer
weiß, ob ich nicht eines Morgens aufwache und Millionär bin",
bemerkte Verdi, „welch wunderbares Wort und welch tiefer Sinn.
Und wie leer sind Worte wie Bekanntheit, Ruhm, Begabung." Warum
darf ein Sänger nicht ähnlich träumen? Warum sollte er nicht im
Hochsommer - oder vielleicht Frühherbst - seiner Laufbahn das
Heu machen, indem er für seine Bewunderer einen Kranz von
Evergreens bindet? Es mag ein Motto sein, dass Jonas Kaufmann
sein neues Album unter dem Titel „Dolce Vita" mit einem 1986
geschriebenen Lied von Lucia Dalla beginnt: „Caruso" (einem
Erfolgstitel von Luciano Pavarotti, dessen Aufnahme
millionenfach verkauft worden sein soll). Unter den achtzehn
Titeln finden sich allerdings nicht nur jene italienischen
Canzonen von Cardillo, Tosti, de Curtis oder Gastaldon, die seit
Ende des 19. Jahrhunderts von Fernando de Lucia, Mattia
Battistini, Enrico Caruso, Benjamin Gigli und Giuseppe di
Stefano gesungen wurden. Kaufmann hat sich auch für Schlager
entschieden: wie „Con te partirò", von Francesco Sartori für
Andrea Bocelli, geschrieben, oder für Domenico Madugnos Eurosong
,,Volare", der von Al Martino, Dean Martin und anderen in die
Charts gesungen wurde.
Es wäre ein großer Irrtum zu
denken, dass solche Musik - Musik des gekonnten Mittelmaßes -
mittelmäßigen Sängern anvertraut werden könne. Im Gegenteil, sie
ist vielmehr nur der an sich belanglose Rohstoff für die Kunst
des Sängers, so wie es ein Unterhaltungsstück auf dem Theater
für eine große Schauspielerin ist. (Nachzulesen bei Marcel
Proust über die Kunst der Berma alias Sarah Bernhardt). Nur
findet Kaufmann, wie mir scheint, nicht den rechten (oder
echten) Ton für die wunderlich zwischen Kunstlied und
Gassenhauer changierenden Canzone napoletane. Wenn Caruso in
Salvatore Cardillos „Catari" seine Klage an und gegen das „Core'
ngrato" richtet, singt er ebenso die Seele der Melodie wie in
Ernesto Curtis' „Torna a Surriento”. Dass Kaufmann dieses
Lebensgefühl nur behaupten kann, liegt nicht zuletzt an den
gefällig-süßen Arrangements, die den berüchtigten Menü turistico
gleichen: Convenience- Produkte.
Es geht hier nicht um
gut oder schlecht, sondern um echt und ehrlich - oder nicht.
Marcel Proust hat einmal gesagt: Werft auf die schlechte Musik
euren Fluch, aber nicht eure Verachtung! je mehr man die
schlechte Musik spielt oder singt (und leidenschaftlicher als
die gute), desto mehr füllt sie sich allmählich an mit den
Träumen, den Tränen der Menschen. Deshalb soll sie euch
verehrungswürdig sein." Leider ist in den modisch arrangierten
alten Canzone nichts von einem italienischen Lebensgefühl zu
spüren, über das der unbeschreiblich aufgeblasene und
prätentiöse Text im Beiheft philosofaselt; und für die erwähnten
All-time-hits findet Kaufmann nicht den rechten Ton - gerade
wegen seiner tenoralen Brillanz. Er erweist sich, wie fast
immer, als glänzender Sänger, auch wenn er keineswegs immer
unangestrengt klingt. Wie weit entfernt ist er etwa in
Leoncavallos „Mattinata" von der Klangfülle eines Caruso oder
Björling. Aber nicht das ist das eigentliche Caveat. Mit Peter
Ustinov möchte man sagen: "Auf dem Theater gibt es so etwas wie
die ideale Fehlbesetzung."
PS: Soll man klagen, dass im
Beiheft nichts über die Geschichte der italienischen Kanzonen zu
lesen ist? Oder soll man darüber lachen, dass die CD als Deluxe-
und als Standard-Version angeboten wird?
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