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BR Klassik, CD-Tipp, 04.10.2016 |
von Annika Täuschel |
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"Dolce Vita" |
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Fritz
Wunderlich hat es getan, Luciano Pavarotti hat es getan, und
Jonas Kaufmann tut es jetzt auch. Es ist weder kriminell, noch
verboten, oder ungebührlich. Und trotzdem zuckt der
leidenschaftliche Opernfan gehörig zusammen: "Dolce Vita" steht
in roten Buchstaben groß auf dem Cover der neuen CD, dekorativ
auf der Brust des Star-Tenors aus München, der mit Wagner, Verdi
und Puccini die großen Bühnen der Welt fest im Griff hat. Uuuhh,
Jonas Kaufmann singt italienische Schlager. Geht’s noch tiefer
mit dem Griff in die Trickkiste?
Dies vorweg: Jonas
Kaufmann ist nicht nur ein brillanter Sänger (was auch auf
diesem Album durchklingt), er ist auch blitzgescheit. Und - über
Geschmack lässt sich in diesem Fall nicht streiten - eine
klassische Schönheit. Typ "Italian Lover", der Bart dezent
angegraut, die Locken braun und voll, breite Brust, überhaupt
Model-Körper. Um all das weiß der gefeierte Tenor und er lässt
sich gern und perfekt inszenieren, nicht nur auf der Opernbühne,
auch auf dem Plattenmarkt und im Mediengeschäft. Das kann man
finden, wie man will. Erlaubt ist aber, was gefällt. Und die
entscheidende Frage bleibt, wie immer bei den Marketing-Gags von
Stars à la Netrebko und Lang Lang: Wie steht’s um die Kunst?
Langer Atem, feine Linie, großer Schmelz
"Dolce Vita" heißt die neue CD: Jonas Kaufmann beamt uns
gemeinsam mit dem Orchestra del Teatro Massimo di Palermo unter
Asher Fisch in Windeseile in die Eisdielen von Torbole, die
Trattorien von Palermo oder die Cafés von Florenz. Jeder kennt
die Evergreens "Volare", "Caruso" oder "Con te partiro", manche
davon tolle Schlager, andere klar jenseits der qualvollen
Kitsch-Grenze. Kaufmann bleibt im heiklen Repertoire beruhigend
stilsicher, drückt nicht noch extra drauf, singt das Ganze mit
klassischer Technik, sehr charming, und punktet mit langem Atem,
feiner Linie und großem Schmelz. Ein Ästhet auch auf diesem
glatten Eis des Allzu-Populären. Extrem präsent ist er
aufgenommen; sehr dezent, Hintergrundteppich manchmal fast das
Orchester. Eine bewusste und kalkulierte künstlerische
Entscheidung, die man mögen muss.
Eingängige
Musik, souveräne Gestaltung
Kaufmanns neues
Album "Dolce Vita" wird viele Fans finden, keine Frage.
Eingängig die Musik, souverän die Gestaltung. Mit seinem
Lohengrin, Des Grieux, Florestan oder seinem Don Carlo im Ohr
kann man bei manchen Titeln trotzdem Zahnschmerzen bekommen,
gerade weil auch bei diesem Repertoire durchschimmert: Jonas
Kaufmann gehört auf die Opernbühne, sein musikalisches und
stimmliches, natürlich auch sein darstellerisches Potenzial
liegt Lichtjahre entfernt vom 3-Minuten-Schlager. So lange er
auch DAS immer wieder ausschöpft und in Paris Liederabende, in
Wien die Tosca und in München Andrea Chenier für uns singt, sei
ihm der "Dolce Vita"-Erfolg von Herzen gegönnt, musikalisch und
finanziell.
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