Selten
fällt es mir leicht, bei einer “Fernsehoper” am Ball zu bleiben. Bei
dieser gediegen naturalistischen David McVicar Produktion aus London war
ich aber von der ersten bis zur letzten Minute gefesselt von einer
historischen, mit viel Liebe zum Detail gestalteten Szenerie und drei
Sängern, die uneitel und intensiv mir einen der aufregendsten
Opernabende in diesem Jahr beschert haben.
Jonas Kaufmann, dessen
Debüt in der Rolle des Revolutionspoeten Andrea Chenier mitzuerleben
ist, Eva-Maria Westbroek als Maddalena und Željko Lučić als Gérard
bieten ganz großes Sängertheater allererster Güte. Mit einer
schauspielerischen Leichtigkeit sondergleichen und großen herrlichen
Stimmen entführen diese drei Künstler am Zenit ihres Könnens in ein
Opernarkadien, das nur noch in großen Ausnahmemomenten existiert.
Ungestört von Regieexzessen und absurd scheußlichen Szenerien kann Oper
pur genossen werden. Dazu gehört auch, dass Dirigent Antonio Pappano mit
dem hervorragend disponierten Orchester des Royal Opera Hauses Covent
Garden die Partitur ernst nimmt und bei großem dramatischem Bogen
instrumentale Details hören lässt, die mir noch auf keiner anderen
Aufnahme aufgefallen sind. Besser kann man diese veristische Musik nicht
gestalten, mit der Bühne herrscht durchwegs eitel Harmonie. Was für eine
Opernpranke dieser Dirigent doch entwickelt hat.
In historischen
Kostümen (Jenny Tiramani) und einem hochästhetischen Set, in dem sich
derselbe Raum raffiniert vom Château de Coigny ins Café Hottot Paris,
später den Sitzungssaal des Revolutionstribunals und final den Innenhof
des Gefängnisses St. Lazare verwandelt (Robert Jones) setzt David
McVicar, wie er dies schon bei Adriana Lecouvreur mit Jonas Kaufmann und
Angela Gheorghiu so exzellent vorgeführt hat, seine Karten voll auf eine
ausgeklügelte Personenregie. Man spürt, wie intensiv der Regisseur mit
den Protagonisten an den Charakterprofilen aller Darsteller bis hin zum
Chor gearbeitet hat, letztlich münden aber alle minutiös aufeinander
abgestimmten Details in den großen Erzählfluss einer guten Geschichte
(Libretto Luigi Illica), die auch ohne regietheaterliches Beiwerk
fasziniert.
Željko Lučić als Gérard gestaltet seine Wandlung vom
Revoluzzer in Adels Diensten bis hin zum autoritären Lüstling und
Denunzianten aus Eifersucht sowie dem Geständnis der Falschaussage vor
dem Revolutionstribunal auch stimmlich so souverän, dass keine Wünsche
offen bleiben. Sein Gesicht ist wie eine Landschaft aller
widerstreitenden Gefühle, die er durchmisst. Von der Anlage her ist
dieser Gérard wohl der komplexeste Charakter der Oper. Mit der Arie
„Nemico della patria“ vermag Željko Lučić einen kraftvollen Höhepunkt im
dritten Akt zu setzen.
Dichter haben es in Revolutionszeiten
bekanntlich nicht leicht und schon gar nicht, wenn sie sich in eine
Adelige verlieben. Jonas Kaufmann als André Chenier setzt schon vom
ersten „Un dì all’azzurro spazio“ auf einen männlich markanten Ton,
sicher ein wenig verträumt und eher im Salon als auf der Barrikade zu
Hause, aber dennoch ein Realo, der sich den politischen Fragen seiner
Zeit stellt auch auf die Gefahr aller Konsequenzen bis zum Schafott hin.
Die Triebfeder ist sein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit, der auch
die Stimme zum Glühen bringt. Wie er die Handlung allein durch seine
Präsenz trägt und im „Come un bel dí di Maggio“ samt Schlussduett für
vokalen Glanz und entäußerte Passion bürgt, das muss man gehört haben.
Glorios. Jonas Kaufmann fühlt sich in dieser Rolle merklich wohl wie der
Fisch im Wasser. Auch schauspielerisch passt ihm diese Rolle wie ein
Handschuh. Rein stimmlich liegt ihm der Spagat zwischen poetischer
Introspektion und spektakulärer Emphase bestens. Das hohe C sitzt wie
geschmiert.
Da ist es kein Wunder, dass auch seine
Sopranpartnerin Eva-Maria Westbroek in der Rolle der Maddalena zu
absoluter Höchstform aufläuft. Sie bringt für mich mit der Maddalena die
überzeugendste Leistung in ihrer bislang höchst bemerkenswerten
Karriere. Aktion, Stimmfarben und Ausdruck gehen bei Westbroek mit dem
Charakter der Rolle einher, als Maddalena klingt sie bisweilen so
betörend wie einstens Tebaldi. Das Zusammenspiel mit „ihren Männern“
Chenier und Gérard legt frei, dass diese Oper eben mehr ist als eine
Aneinanderreihung italienischer Opernhits. Ich finde sogar, dass Andrea
Chenier in der dramaturgisch auf kurze vier Akte geschneiderte
Verknappung auch in der Innenspannung besonders gelungen ist.
Zu
Andrea Chenier gehören neben den drei Hauptrollen noch drei
eigenprofilierte weibliche Sängerinnen in den Partien der Gräfin Coigny,
der Bersi und der Madelon. Mit Rosalind Plowright, Denyce Graves und der
Südtirolerin Elena Zilio konnte Covent Garden dafür drei von Typ und
Stimme her ideale Interpretinnen vorweisen.
Fazit: Dieser Andrea
Chenier kann als neue Referenz gelten und ist zudem in der filmischen
Umsetzung (Jonathan Haswell) und vom audiophilen Anspruch her untadelig.
Hoffentlich entschließt man sich dazu, neben den audiovisuellen
Versionen eine reine Audiofassung in Blu-ray zu publizieren.
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