Irgendwie kommt einem das spanisch vor. Dass in Emmerich Kálmáns
Ouvertüre zur Operette "Gräfin Mariza", die in Ungarn spielt,
Kastagnetten klackern - na, das kann ja wohl kaum sein. Als dann
aber die ersten Takte der Melodie von „Meine Lippen, die küssen so
heiß" erklingen - eine der Lieblingszugaben von Anna Netrebko
übrigens - wird klar, dass das Programm heim Auftritt von Jonas
Kaufmann im Beethovensaal der Liederhalle umgestellt wurde: das
Münchener Rundfunkorchester begann nicht mit Kálmán, sondern mit dem
Walzer aus Franz Lehárs Operette „Giuditta". Und die spielt in
Spanien. Aber man kennt halt aus Operetten meist nur wenige bekannte
Nummern, was daran liegt, dass sie im Ganzen kaum mehr aufgeführt
werden, gibt ihre Handlung in der Regel wenig her fürs Regietheater.
So hat sich auch Jonas Kaufmann für sein Programm „Du bist die
Welt für mich" an die üblichen Operettenpreziosen gehalten, diese
aber mit Liedern aus frühen Tonfilmen wie „Liebeskommando" oder „Ein
Lied geht um die Welt" ergänzt. Und weil Letztere eben nicht mit
saalfüllender Tenorkraft, sondern leicht gesungen werden sollen, hat
er auch eine dezente Verstärkung installieren lassen - nicht ohne
das Publikum gleich zu Beginn darauf hinzuweisen, dass er den Saal
auch ohne Mikrofon füllen könne, was er mit „Freunde, das Leben ist
lebenswert" aus „Giuditta" auch sogleich nachdrucksvoll belegt:
Freunde, die Stimme ist hörenswert. Was für ein betörendes Timbre,
welche Strahlkraft und Projektion! Metall und Schmelz sind hier in
perfekter Balance vereint, auch Kaufmanns Diktion ist lupenrein.
Doch das Erstaunlichste ist seine klangliche Kontrolle über das
gesamte dynamische Spektrum, was ihn wohl zum derzeit vielseitigsten
unter den großen Tenören macht - egal ob als Heldentenor, als
Liedinterpret oder im Belcantofach, es scheint kaum etwas zu geben,
was er nicht kann.
Durchaus folgerichtig also, dass sich
Kaufmann (wohl nicht zuletzt auch aus Marketinggründen, die CD ist
ein Verkaufsrenner) an die Operette gewagt hat -was freilich nicht
ganz gefahrlos ist, denn der Grat zwischen Nonchalance und
Schmalzbackenkitsch ist schmal: Ein Hauch zu viel Sentiment, und
schon tappt man im Seichten. Dem großen Fritz Wunderlich gelang
dieser Balanceakt einst formidabel, und auch Kaufmann bleibt
insofern immer auf der sicheren Seite, als er weder stimmlich noch
gestisch jemals über die Stränge schlägt.
Auch wenn der Text ins
Kitschige driftet, bleibt sein Singen nobel, und wenn er bei „Gern
hab ich die Fraun geküsst" eine Hand locker in die Hosentasche
steckt, ist das schon fast der Gipfel an darstellerischer
Verausgabung. Erst nach der Pause, bei Robert Stolz' „Im Traum hast
Du mir alles erlaubt" geht er etwas aus sich heraus, wippt sogar
dezent mit dem Orchester. Eine gewisse Distanz zum Operettensujet
bleibt gleichwohl spürbar. Doch dafür entzückt er mit allerlei
vokalen Kunstfertigkeiten wie Verzierungsschluchzern auf der letzten
Silbe oder irisierenden Spitzentönen, dazu immer wieder mit der
Messa di Voce, dem An- und Abschwellenlassen der Töne, das kaum
einem derart locker gelingt.
Es ist ein hochklassiger Abend,
an dem auch das Münchner Rundfunkorchester einen gewichtigen Anteil
hat, das die Musik genauso ernst nimmt wie Kaufmann selbst. Walzer
wie der aus Lehárs „Der Graf von Luxemburg" spielt das von Jochen
Rieder geleitete Orchester federleicht und mit rhythmischer
Innenspannung, das zweite Viertel leicht vorgezogen - das machen
auch die Kollegen aus Wien kaum besser. Glänzend auch die
Bläsersolisten, mit deren Hilfe Rieder in Lehárs Ouvertüre zum „Land
des Lächelns" fast puccinihafte Klangmischungen frei legt.
Kein Wunder, dass das überproportional aus Frauen bestehende
Publikum am Ende völlig enthusiasmiert war und den charmanten Sänger
mit reichlich Blumen und Applaus bedachte. Drei Zugaben, darunter
„Irgendwo auf der Welt gibt's ein kleines bisschen Glück". An diesem
Abend war es im Beethovensaal zu finden.