Wer sich so abendfüllenden, anspruchsvollen und textlich wagnermäßig
verschwurbelten Partien stellt wie "Lohengrin" – der darf auch der
leichten Muse frönen. Jedenfalls wenn er es so brillant macht wie
Jonas Kaufmann, der deutsche Tenor mit dem waffenscheinpflichtigen
Latino-Charme, für Fans: "der Jonas". Wann hätte die Laeiszhalle je
so gesummt und geschwirrt? Strahlende Gesichter, Frühlingsfarben,
die Erwartung ist förmlich zu greifen. "Du bist die Welt für mich",
nach dem Schlagertitel von Richard Tauber, hat Kaufmann seine CD mit
Operettenarien und Chansons der goldenen 20er- und frühen 30er-Jahre
überschrieben, der Hamburger Abend ist sozusagen Teil einer
inoffiziellen Promo-Tour.
Aber den Gedanken daran, dass
Kaufmann in Luzern, Paris oder Dortmund andere Frauen ansingen
könnte als uns, die weibliche Hälfte des Publikums, nein, wohl eher
die weiblichen drei Viertel, diesen beunruhigenden Gedanken schieben
wir entschlossen beiseite. Denn wenn der Lockenkopf "Schatz, ich
bitt dich, komm heut nacht" aus Franz Lehárs Operette "Frasquita"
ins Mikro haucht, immer schön elastisch aus den Knien, dann geht ein
leises, aber intensives Seufzen durch die Reihen. "Alles ist bereit
gemacht für ein Stelldichein", heißt es im Text, "kein Laut uns
stört, kein vis-a-vis, ein Mondenstrahl ganz verstohlen nur späht,
doch was er sieht, er nicht verrät." Hui. Für jeden dieser
hinreißend anzüglichen Verse findet Kaufmann eine noch feinere
Duftnuance, jeden Spitzenton liebkost er anders – immer aber mit dem
Kaufmann-typischen, etwas gaumigen Piano-Timbre.
An seinem
Hauptberuf, Opernsänger eben, lässt Kaufmann keinerlei Zweifel.
"Freunde, das Leben ist lebenswert", schmettert er nach dem
einleitenden Walzer aus Lehárs "Guiditta" und lässt seine kraftvolle
Höhe strahlen, und der erste Geiger des Münchner Rundfunkorchesters
umspielt ihn derart virtuos, als hätte bei der Komposition Richard
Strauss Pate gestanden.
So ist das eben mit den
Operettenkomponisten. Sie gelten wenig in der Welt der sogenannten
Ernsten Musik. Wie witzig, wie geistreich und alles andere als plump
die Frivolität eines Emmerich Kálmán, Hans May oder Robert Stolz ist
– geschenkt, auch wenn manch Norddeutscher darüber weiter die Nase
rümpfen wird (sollte er diesen Abend verpasst haben). Aber wie sehr
die Wirkung der Musik von Feinheiten lebt, das kann der Hörer nur
wahrnehmen, wenn es jemand so kongenial vorführt. Das Orchester ist
eine Luxuskarosse für dieses Repertoire. Die Nachschläge im
Walzertakt kommen so butterweich und gerade nicht mathematisch
genau, wie das der Wiener Schmäh braucht. Es duftet nach Flieder,
nach Frühlingsnächten, nach heimlichen Rendezvous. Der Dirigent
Jochen Rieder kann den Klang so mühelos aufziehen, wie eine Dame
ihren Fächer öffnet. Nobel klingen die Streicher, weich und
grundtönig die Bläser, und das Ganze rahmen Triangel und Glöckchen
ein wie mit einem feinen Silberdraht.
Standing Ovations,
Blumen, Geschenke, Zugaben. Als Kaufmann die Zeilen "Frag nicht,
warum ich gehe" aus "Das Lied ist aus" anstimmt, da lacht der ganze
Saal. Ja, wir Hamburgerinnen sind großzügig. Wir können ihn teilen,
unseren Jonas.