Klassik.com, 31. Juli 2010
Christian Gohlke
Liederabend, München 30. Juli 2010
Unverdiente Lorbeeren
 
 
Eines stand schon vor Beginn dieses Liederabends fest: Dass der Jubel am Ende groß sein würde. Denn egal, was und vor allem wie Jonas Kaufmann singt – er wird gefeiert wie derzeit kaum ein anderer Sänger. Aber wird man ihm damit gerecht? Jonas Kaufmann ist kein Latin-Lover, der nebenbei ein wenig musiziert, sondern ein Künstler von Rang, der es verdient hat, dass man seine Leistungen ernstnimmt und differenziert beurteilt. Kein echter Sportler wäre im Tiefsten über unverdiente Lorbeerkränze glücklich, und kein wahrer Künstler wird sich über frenetischen Beifall freuen, der seinen Grund nicht in der gebotenen Leistung hat.

Darum sei hier mit Nachdruck und Deutlichkeit gesagt: Der Liederabend, den Jonas Kaufmann jetzt bei den Münchner Opernfestspielen gab, war schwach und belanglos; der Jubel, der dem Sänger nach seinem Auftritt dargebracht wurde, in keiner Weise gerechtfertigt. Nach Gründen für den lauen Abend brauchte man nicht lange zu suchen. Kaufmann benannte sie selbst. Als er nämlich die Bühne betreten hatte, richtete er sich mit ein paar Worten ans Publikum, um den Notenständer zu erklären, den er da vor sich hatte. Zwar störe der ihn „wahnsinnig“, aber er habe den Kopf so „voll von Lohengrin und Cavaradossi“, dass er sich nicht so ganz auf sein Gedächtnis verlassen wolle. Das ist verständlich, und Kaufmanns Ehrlichkeit war so entwaffnend wie sympathisch. Nur würde aber gerade ein Liederabend vollständige Präsenz und Hingabe erfordern. So wäre es, genau überlegt, geradezu ein Wunder gewesen, wenn es einem Sänger, der in den letzten Wochen zwei wichtige Premieren – eben 'Tosca' in München und 'Lohengrin' in Bayreuth – zu bewältigen hatte, gelungen wäre, den Feinheiten romantischer Liedkunst nachzuspüren. Dieses Wunder hat sich nicht ereignet. Der Abend blieb oberflächlich und blass. Nie hatte man das Gefühl, Jonas Kaufmann habe vollständig durchdacht und emotional bis ins Tiefste durchdrungen, was er vortrug. Hinzu kam, dass seine Stimme angegriffen wirkte. Die sonst so kraftvollen Höhen klangen angestrengt, seine Mittellage war in der Tongebung oft merkwürdig verschattet.

So gelang es ihm kaum, das Geschehen, das in Schumanns 'Belsazar' op. 57 erzählt wird, suggestiv heraufzubeschwören und Heines Gedicht zur dramatischen Szene werden zu lassen. Weder das Auftrumpfende Belsazars, seinen anmaßenden Hohn auf den Judengott, vermochte Kaufmann glaubhaft darzustellen, noch das Erstarren der zechenden Gastfreunde beim Erscheinen der schreibenden Geisterhand. Auch die fünf Lieder op. 40 nach Texten von Hans Christian Andersen und Adelbert von Chamisso konnten nicht so recht überzeugen. Nicht nur das erste dieser Lieder, 'Märzveilchen“ op. 40/1, für das Kaufmann ein sehr zurückgenommenes Tempo wählte, geriet zu betulich. Vor allem 'Der Soldat' ließ einen schmerzlichen Mangel an Temperament und Emphase erkennen. Das lag auch an der kraftlosen Begleitung von Helmut Deutsch. Hier müsste die Klavierbegleitung doch den starren Marschrhythmus markieren und den monotonen Schlag der Trommel hörbar machen, welcher die Hinrichtung des geliebten Freundes begleitet.

Freilich, immer wieder gab es auch schöne Einzelheiten, so beispielsweise ein feines Piano am Ende des Liedes 'Der Spielmann' op. 40/4 oder eine äußerste Zartheit bei der Wiederholung der ersten vier Zeilen des 'Ziegeunerliedchens' op. 79/7b: 'Jeden morgen in der Frühe, / Wenn mich weckt das Tageslicht, / Mit dem Wasser meiner Augen / Wasch ich mir das Angesicht.' Doch solche Passagen ergaben sich nur selten zwingend aus dem Kontext der Lieder. Sie waren darum weniger der glaubhafte musikalische Ausdruck eines tief empfundenen Gefühls, sondern eher die selbstgenügsame Vorführung sicher abrufbarer stimmtechnischer Möglichkeiten. Zart, aber wenig empfunden klang denn auch das Ende der 'Kindertotenlieder' von Gustav Mahler. Nicht weniger unglaubhaft war der innere Aufruhr im fünften Lied, der dieser Beruhigung vorausgeht. So konnte man seiner Nebensitzerin den heimlichen Blick, den sie aufs goldene Armbandührchen warf, nicht einmal verdenken.






 
 
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