Opernnetz
Helmut Christian Mayer
 
Mascagni: Cavalleria rusticana, Leoncavallo: Pagliacci, Salzburg, Vorstellung 6. April 2015
 
Verismo in Guckkästen
Unentwegt wechselt die Perspektive. Permanent geht da eine Blende wie ein Vorhang auf und dort eine zu. In sechs Guckkastenbühnen hat Philipp Stölzl die riesige und an sich schwer beherrschbare Cinemascope-Bühne des Großen Festspielhauses geteilt. Diese werden auch immer wieder zu Leinwänden, worauf Live-Gespieltes zusätzlich noch aus anderen Perspektiven übertragen wird. Meist kann man das Geschehen aus mehreren gleichzeitig betrachten. Das alles bewirkt gemeinsam mit den vitalen Chorszenen ein reiches, szenisches Leben, das nur manchmal aus dramaturgischen Gründen bewusst in der Bewegung erstarrt. So entstehen zwischen Kirche, Dorfplatz und Mansarde simultan ablaufende Szenen. Unten sind meist die Massenszenen, in den oberen Etagen ist Platz für emotionale Intimität.

Der Regisseur, ein Video-, Film- und Theatermann, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, hat bei den Salzburger Osterfestspielen die beiden untrennbar verbundenen, veristischen Einakter-Zwillinge Cavalleria rusticana von Pietro Mascagni und Pagliacci von Ruggero Leoncavallo, wie schon im letzten Jahr wiederum eine Koproduktion mit der Semperoper Dresden, wo sie zu einem späteren Zeitpunkt zu sehen sein werden, wie ein TV-Regisseur in Szene gesetzt. Wobei er sich mit seiner Kostümbildnerin Ursula Kudrna in Cavalleria rusticana auf schwarz-weiße Töne konzentriert. Alles wirkt wie ein alter Holzschnitt oder wie eine Tuschzeichnung, wie aus einem alten Stummfilm. Während in Pagliacci kunterbunt und aufgeladen mit allerlei Requisiten die Zunft der Gaukler und fahrenden Possenreißer des Zirkus gezeigt wird. Alle Schlüsselszenen werden geschickt angelegt. Emotionen werden wie im Film durch Close-ups verstärkt. Extrem ist etwa, wenn sich Canio in Großaufnahme mit leerem Blick in den Spiegel völlig apathisch schminkt und man seinen riesigen Kopf dabei sieht. Die mangelnde Tiefe und die kleinen Räume bewirken jedoch immer wieder eine Eingeschränktheit der Bewegungsfreiheit, besonders beim Chor.

La commedia è finita: Fast tonlos und trotzdem schneidend schleudert er seine letzten Worte ins Publikum. Von allen Protagonisten ist Jonas Kaufmann wieder eine Klasse für sich. Er spielt und singt sowohl den Turiddu wie auch den Canio mit großer schauspielerischer Präsenz, seinem edeldunklen Timbre und seinen subtilen Piani zum Niederknien. Einnehmend sind sein Schmelz und seine große Italianità. Seine Parade-Arie Lache, Bajazzo wird so zum Ereignis. Mit wuchtigem, riesigem Sopran füllt Liudmyla Monastyrska als Santuzza mühelos den riesigen Raum des Festspielhauses, kann aber auch mit inniger Mezza voce und berührender Phrasierung punkten. Ambrogio Maestri, ausstaffiert wie ein Mafia-Pate, ist ein kraftvoller, etwas zu gemütlich wirkender Alfio. Annalisa Stroppa gibt eine kokette und ebenfalls sehr schönstimmige Lola. Dimitri Platanias verfügt als Tonio über balsamisch weiche Töne. Sein Bariton könnte für den Raum jedoch etwas größer sein. Stefania Toczyska ist eine solide Mutter Lucia. Maria Agresta verfügt als sehr erotische Nedda über einen ausnehmend schönen, flexiblen Sopran. Alessio Arduini als Liebhaber Silvio ist vielleicht etwas knorrig in der Tiefe, in der Höhe jedoch wunderbar. Tadellos erlebt man Tansel Akzeybek als Peppe. Auch der Salzburger Bachchor, der Sächsische Staatsopernchor Dresden und der Salzburger Festspiele- und Theater-Kinderchor, die von Jörn Hinnerk Andresen exzellent einstudiert wurden, passen ideal ins akustische Gesamtbild.

Wie immer höchst diszipliniert und sauber musiziert die Sächsische Staatskapelle Dresden unter Christian Thielemann. Vielleicht sind die einen oder anderen Ausbrüche etwas zu wohldosiert, um nur ja nicht die Sänger zuzudecken. Aber nicht nur in den Intermezzi und in den Schlussszenen kommt auch die Leidenschaft nicht zu kurz. Da erblühen die Bögen, da schillern und funkeln die Farben. Da wird auch druckvoll und akzentuiert musiziert. Thielemann und seine Musiker zelebrieren so intensive Psychodramen.

Zum Schluss gibt es stehende Ovationen eines begeisterten Publikums ohne Widerspruch für alle, die sich beim Erscheinen von Kaufmann und Thielemann zu einem orkanartigen Jubel steigern. Als besonders schöne Geste erscheint auch zum Schlussapplaus das gesamte Orchester auf der Bühne und wird ebenfalls lautstark bejubelt.

2016 wird übrigens bei den Salzburger Osterfestspielen auch wieder aus Eifersucht gemordet: Man hat als Oper Verdis Otello mit Johan Botha in der Titelrolle, Dorothea Röschmann als Desdemona wie auch Dmitri Hvorostovsky als Jago unter der Stabführung von Christian Thielemann gewählt. Inszenieren wird Vincent Boussard.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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