Merkur, 30. März 2015
Markus Thiel
 
Mascagni: Cavalleria rusticana, Leoncavallo: Pagliacci, Salzburg, 28. März 2015
 
Ganz aus dem Festspielhäuschen
 
Salzburg/Baden-Baden - Zweimal Osterfestspiele, zweimal mit Stars im Neuland: Während Simon Rattle in Baden-Baden den „Rosenkavalier“ wagte, unterstützt von Regisseurin Brigitte Fassbaender, dirigierte Christian Thielemann in Salzburg „Cavalleria rusticana“ und „Pagliacci". Ein Punktsieg für Österreich.

Stimmt ja alles nicht, das mit der Verengung auf Deutschromantisches. Während seiner Galeerenjahre, vornehmlich in Italien, so wird Christian Thielemann nicht müde zu erwähnen, da hat er alles dirigiert. Verdi, Puccini, später solches auch in Berlin. Ausgerechnet mit dem Schlager-Gespann von Pietro Mascagni und Ruggero Leoncavallo ist nun auch seine Regentschaft bei den Salzburger Osterfestspielen eingerastet – nach dem Regie-Unfall „Parsifal“ und dem Treffen vokal Ergrauter bei „Arabella“.

Was Thielemann bei Strauss, Wagner & Co. vollbringt, steht auch Mascagnis „Cavalleria“ ausnehmend gut: die Detailzaubereien, das lustvolle Regeln und Pegeln an den Schaltern seiner Staatskapelle, der satt grundierte, nie erdenschwere Klang, der extrem enge Kontakt zur Bühne. Ein paar Mal dürfen die Dresdner ihre Muskeln auspacken. Hörenswert ist aber, wie sich das Drama um Turiddu, der seine Santuzza verlässt, um mit Lola anzubandeln, und von ihrem Gatten Alfio erstochen wird, wie sich diese sizilianische Tragödie (auch) im Intimen, im Mikrokosmischen ereignet.

Bei Leoncavallos „Pagliacci“ fremdelt Thielemann dagegen. Im Bemühen, nur ja kein kostbares Detail zu überfahren, wird die Sache geschmäcklerisch. Und das Buffoneske (dem Leoncavallo ja auch eine zynische Ebene einzieht), das eigentlich Überrumpelnde der Volksszenen wird gemächlich nachbuchstabiert statt atmosphärisch eingefangen. Da bleibt es beim – dafür kundigen – Handwerk. Aber vielleicht hat man sich zu dem Zeitpunkt auch etwas abgesehen am Regie-Konzept. Philipp Stölzl, sonst gern der Mann fürs Grobmotorische, spielt Kino im Großen Festspielhaus. Sechsfach geteilt ist seine eigene „Cavalleria“-Bühne. Immer wieder werden einzelne oder mehrere Blenden aufgezogen. Synchronhandlungen ermöglicht das, mehrere parallel laufende Filme, ob live gespielt oder projiziert, alles in Schwarzweißoptik. Fellini auf Expressionismus getrimmt: Die dörfliche Enge dieses verzerrten Fantasie-Siziliens ist fast körperlich erfahrbar, einziger Farbtupfer ist am Ende die tödliche Wunde Turiddus.

Virtuos ist das von Stölzl durchgearbeitet, hochpräzise, dicht, staunenerregend in seiner Wirkung. Ein dunkles Feuerwerk an optischen Reizen, das aber nie überfordert. Nach der Pause schlendert das „Cavalleria“-Personal zu „Pagliacci“ herein. Ätsch, alles nur gespielt, sagt das – und wird doch nicht mehr richtig fortgeführt. Eifersuchtsdrama II um Weißclown Canio, der seine Nedda mit Silvio erwischt und sie während einer Aufführung ersticht, erreicht nicht mehr diese Intensität. Wieder geteilte Bühne, wieder Parallelereignisse, die „Aufführung“ der Komödientruppe läuft oben, während unten das Volk staunend und zunehmend entsetzt nach rechts ins Off starrt. Manches wirkt nur durchgestellt – im vorösterlichen Salzburg ist die Probenzeit naturgemäß knapp.

Dafür gibt es immerhin minutenlange (und sehr versöhnliche) Nahaufnahmen von Jonas Kaufmann, der hier einen seiner größten Triumphe einfährt. Eben noch erstmals Radames in Rom, jetzt das für ihn neue Doppel Turiddu/Canio, Angst und schwindlig wird es einem. Ein tenoraler Nimmersatt? Wer Kaufmann in dieser Premiere erlebt, muss alle Waffen strecken. Die Töne aus dem Vokalkraftwerk, die nie erschlaffende Energie, ob im Singen oder im Spiel, die Klangkonzentration auch im Leisen, die dominierende, andere nie wegdrückende Präsenz – spätestens jetzt hat der Münchner jenen Thron erobert, der seit Domingos Emeritierung ins Baritonale verwaist war.

Anders als bei mancher Thielemann-Premiere stimmt nun die Solistenwahl auf jeder Position. Liudmyla Monastyrska (Santuzza) ist der Musterfall einer Hochdramatischen, die ihren Sopran ohne Verspannungen ins Piano dimmen kann. Ambrogio Maestri (Alfio) und Dimitri Platanias (Tonio) beweisen, dass man für die schwer zu castenden italienischen Baritonpartien gleich zwei herausragende Stimmen finden kann. Stefania Toczyska, früher als Carmen oder Amneris gefeiert, gibt im Karriereherbst eine ungerührt kalte „Cavalleria“-Lucia. Maria Agresta drängt zum Diventon, die Nedda ließe sich leichter besetzt vorstellen. Der Semperopernchor singt mit der Präzision eines Oratorienensembles. Am Ende klimpern Klunker und Reifen an Armen im Klatschstress: Genau so bringt man Salzburg aus dem Festspielhäuschen.


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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