Was in einhundertfünfzig Opern-Minuten nicht alles abgehandelt
werden kann: Theater im Theater, die große Liebe, na klar, aber auch
außereheliche Tête-à-têtes, der eifersüchtige Schlagabtausch zweier
Diven, Feste werden gefeiert, wie sie fallen, und - apropos fallen -
gestorben wird natürlich auch. Selbst die Komik kommt in Adriana
Lecouvreur nicht zu kurz: Hier stehen sich Politik und
Schauspielerei gegenüber, was bekanntlich schon immer irgendwie
zusammen gehörte. Dennoch hat das Ganze einen historischen
Bezugspunkt: Die französische Aktrice Adrienne Lecouvreur soll
tatsächlich mal mit Moritz von Sachsen, einem Sohn August des
Starken, das Nachtlager geteilt haben. Aus dieser Affäre entstand
erst das Schauspiel von Eugène Scribe, später die Oper von Francesco
Cilea.
Die Metapher mit den Veilchen zieht sich nicht nur
durch das komplette Stück, sie charakterisiert zudem recht passend
Cileas Komposition. Wie eine zarte Blüte entfalten sich seine
Arrangements, verströmt die Musik ein betörendes Bouquet. Dazwischen
lodert das Feuer eines waschechten Verismo-Krachers - und Marco
Armiliato braucht nicht viel mehr zu tun, als den Orchesterherd auf
maximale Gradzahl zu drehen. Unter seiner Leitung entwickelt das
DOB-Orchester einen klanglichen Sog, dem man nicht widerstehen kann:
ein süßlich-säuselndes, sonnendurchflutetes, dann wieder aufbrausend
unwetterartiges Spiel, immer mit Ausdruck - einfach fantastisch.
Jonas Kaufmann, als angeschlagen angesagt, benötigt ein paar
Minuten bis sein Tenor warm gelaufen ist, aber dann legt der
Münchner mit seinem Maurizio richtig los: Sein dunkles Timbre, die
lang gehaltenen, groß aufflammenden, geschmeidigen Höhen, ja selbst
die Schluchzer passen perfekt zu dieser Spinto-Partie. Als
Überraschung entpuppt sich die Mezzosopranistin Anna Smirnova: Sie
besitzt nicht nur eine intakte, voluminöse, ausdrucksstarke Stimme,
sondern verleiht der giftigen Fürstin eine nahezu Angst machende
Glaubwürdigkeit. Hier bahnt sich eine große Karriere an. In diese
A-Reihe gehört fraglos auch Markus Brück, der mit dem Michonnet eine
weitere Glanzleistung an seinem Stammhaus abliefert. Doch auch
Stephen Bronk (Fürst von Bouillon) und der in der komischen Sparte
stets gut aufgehobene Burkhard Ulrich (Abbé von Chazeuil) sind auf
den Punkt besetzt. Angela Gheorghiu weiß um ihre stimmlichen wie
optischen Reize - und man verfällt ihr nur zu gern. Ihre Adriana ist
ein gazellenartiges Geschöpf: lyrisch versierter als die Scotto
unter James Levine, um einiges erotischer als Joan Sutherland. Und
wenn dieser lupenrein intonierenden, technisch makellosen Lecouvreur
der letzte Tanz gehört, sie dann ihr Leben aushaucht und unter den
Klängen der Harfe ins Himmelreich entschwebt, dann weiß man wieder,
weshalb man die Kunstform Oper so sehr liebt. Ach, schnüff, wie
schön.