Doch glücklicherweise singen die Protagonisten nicht stocksteif in den
Saal, sondern verdeutlichen das Geschehen mit Gesten und Blicken. Und
die beiden Superstars in den Hauptrollen machen ohnehin alles wett.
Krankheitsbedingt setzt er nun die ersten hohen Töne vorsichtig an,
doch alsbald weicht seine Zurückhaltung dem temperamentvollen Aussingen,
wie es diese dramatisch-tragische Oper erfordert. Mit Phrasierungskunst
und wohl kalkuliertem Forte nimmt er den großen Saal sofort für sich
ein. Immer wieder rauscht zwischenzeitlich kräftiger, wohlverdienter
Beifall für ihn auf.
Den Hintergrund dieses Werkes bildet eine wahre Geschichte. Diese
Schauspielerin hat es wirklich gegeben. Als Adrienne Lecouvreur
stand sie in Paris auf der Bühne der Comédie Française und wurde
wegen ihrer Wahrhaftigkeit und Bescheidenheit geliebt. Als „niedere
Magd“ der Kunst hat sie sich bezeichnet, ein selbstverliebter Star
wollte sie nicht sein.
Ganz anders Angela Gheorghiu. Die gibt sich bewusst als Diva,
und das passt auch zu dieser schlanken, höchst attraktiven Frau. Da
sitzt jede Geste und jeder Augenaufschlag, und sie wechselt in der
Pause sogar Frisur und Robe.
Doch sie rechtfertigt diese gekonnten Posen und Attitüden.
Leicht und locker strömt die Stimme, raffiniert verzögert kommt
mitunter ein Detail, beim Pianissimo öffnet sie kaum die Lippen,
beweist aber bei den Leidens- und Hassausbrüchen auch die Kraft
ihres stets wohltönenden Soprans.
Manchmal stützt sie sich leicht und sehr malerisch ans Pult von
Maestro Marco Armiliato, der das Orchester der Deutschen
Oper Berlin einfühlsam und mit großem Engagement zu
Höchstleistungen anspornt. Das ist diesmal auf der Bühne platziert
und gibt sein Bestes.
Vor allem der dritte und vierte Akt, wenn sich das Geschehen
zuspitzt, überzeugt sowohl von der Komposition her als auch von
ihrer Darbietung.
Bei den lyrischen Passagen tupfen die Hornbläser und Violinen (beim
Pizzicati) ihre Noten förmlich in den Saal. Nun tritt auch der
gerade zum dritten Mal in Folge als Chor des Jahres gekürte Chor
der Deutschen Oper (geleitet von William Spaulding) in
Aktion, und dessen Damen singen wie eine Engelsschar.
Der ruhende Pol des Geschehens ist Markus Brück in der Rolle
des Regisseurs Michonnet. Er führt und betreut die
Schauspielergruppe, um die es in diesem Stück geht. Vor allem
Adriana, die er seit Jahren heimlich liebt, ohne dass ihr das
bewusst ist. Gegenüber dem sehr viel jüngeren Maurizio, das sieht er
ein, hat er keine Chance. Weich und doch kraftvoll strömt sein
Bariton, wie stets ohne Tadel. Ein bescheidener Star des Ensembles
der DOB, der vom Publikum ebenfalls großen Beifall erhält.
Als wahre Powerfrau setzt sich Anna Smirnova als Fürstin
von Bouillon in Szene. Wenn ihr reiner Mezzosopran zum Forte
ansetzt, kann sie alle anderen unter den Tisch singen. Doch stets
bleibt die Stimme ohne Schärfe und blüht in den Piano-Passagen
großartig auf. Auch sie liebt Maurizio, und der gibt ihrem Drängen
zunächst um seiner Karriere willen nach.
Generell gesagt gehören der dritte und vierte Akt den beiden Damen.
Als die nach einem Intrigenspiel erkennen, dass sie Konkurrentinnen
sind, schlägt der Hass hohe Wogen. Der „Showdown“ der beiden Stimmen
und Charaktere wird zum dramatischen Höhepunkt der Aufführung. Die
Adlige sinnt auf tödliche Rache.
Der Macht der Fürstin hat Adriana als Schauspielerin – damals
kein anständiger Beruf – nichts entgegen zu setzen, hat ohnehin
allen Lebensmut verloren. Denn Maurizio ist verschwunden und Adriana
ganz krank vor Sehnsucht.
Michonnet, nun ein väterlicher Freund, versucht sie zu trösten, hat
sie doch gerade Geburtstag. Die Kolleginnen und Kollegen kommen mit
Geschenken, Michonnet mit einer kostbaren Kette, die er vom Geld aus
einer Erbschaft für sie gekauft hat. Ja, sie will wieder auf die
Bühne, und Angela Gheorghiu beglaubigtdiesen Sinneswandel in jeder
Weise.
Doch unter den Geschenken ist auch ein Veilchenstrauß. Den hat
sie einst Maurizio geschenkt und nimmt nun an, er schicke ihn ihr
zur Demütigung zurück. Nein. Der gelangte von Maurizio als
Verlegenheitsgabe an die Fürstin, und die hat ihn vergiftet.
Der herbeigerufene Maurizio will alles aufklären und die Geliebte
trotz ihres niederen Schauspielerstandes zu seiner Gemahlin machen.
Kaufmanns facettenreiches Piano müsste jede Frau erweichen. Nun
stehen die beiden, die sich zwischendurch oft angeschaut haben,
nicht mehr vor sich hinsingend auf der Bühne, sondern spielen eine
echte Liebesszene. Wie schön!
Schade, dass Jonas Kaufmann seine Kollegin bei der
herzerweichend gesungenen Sterbeszene nicht noch einmal in die Arme
nimmt. Dennoch ein wunderbarer Schluss, bedacht mit tosendem, lang
anhaltendem Applaus für alle, auch die hier nicht namentlich
genannten und insbesondere auch für Anna Smirnova. Aber anders als
im Stück triumphiert eine glückliche Angela Gheorghiu als Königin
der zweiten Halbzeit. Eine Sternstunde für Berlin und die Deutsche
Oper. Ursula Wiegand