Der Neue Merker, 08. Oktober 2010
Ursula Wiegand
Ciléa: Adriana Lecouvreur, Berlin, Deutsche Oper, 5. Oktober 2010
Goldener Oktober mit „ADRIANA LECOUVREUR“ 05.10. 2010
 
Mit einer Glanz- und Gloria-Premiere setzt die Deutsche Oper Berlin Maßstäbe für die neue Spielzeit. Zwar ist Francesco Cileas (1866-1950) Werk aus Italiens Verismo-Zeiten hierzulande weitgehend unbekannt (die letzte Aufführung in Berlin geschah 1938), und leider wird das Stück jetzt nur konzertant und lediglich an zwei Abenden aufgeführt.
Doch glücklicherweise singen die Protagonisten nicht stocksteif in den Saal, sondern verdeutlichen das Geschehen mit Gesten und Blicken. Und die beiden Superstars in den Hauptrollen machen ohnehin alles wett.

Es sind (waren) Jonas Kaufmann als Maurizio, Graf von Sachsen, der sich zunächst als Fähnrich ausgibt. Er möchte die vom Publikum gefeierte Schauspielerin Adriana nicht durch seinen adeligen Stand verschrecken, sie nur als liebender Mann für sich gewinnen. Eine Rolle, die dem 41-Jährigen ebenso auf den Leib geschrieben ist wie der schönen Angela Gheorghiu die ihrige.

Doch zunächst Erschrecken im ausverkauften Haus: Jonas Kaufmann leide unter einer fiebrigen Erkältung, so die Ansage. Er singt trotzdem, bravo! Doch hoffentlich schadet er damit nicht seiner fabelhaften Stimme, die mehr und mehr alle Stilrichtungen beherrscht und unterschiedliche Werke gleichermaßen eindringlich gestaltet.

Krankheitsbedingt setzt er nun die ersten hohen Töne vorsichtig an, doch alsbald weicht seine Zurückhaltung dem temperamentvollen Aussingen, wie es diese dramatisch-tragische Oper erfordert. Mit Phrasierungskunst und wohl kalkuliertem Forte nimmt er den großen Saal sofort für sich ein. Immer wieder rauscht zwischenzeitlich kräftiger, wohlverdienter Beifall für ihn auf.
Den Hintergrund dieses Werkes bildet eine wahre Geschichte. Diese Schauspielerin hat es wirklich gegeben. Als Adrienne Lecouvreur stand sie in Paris auf der Bühne der Comédie Française und wurde wegen ihrer Wahrhaftigkeit und Bescheidenheit geliebt. Als „niedere Magd“ der Kunst hat sie sich bezeichnet, ein selbstverliebter Star wollte sie nicht sein.
Ganz anders Angela Gheorghiu. Die gibt sich bewusst als Diva, und das passt auch zu dieser schlanken, höchst attraktiven Frau. Da sitzt jede Geste und jeder Augenaufschlag, und sie wechselt in der Pause sogar Frisur und Robe.

Doch sie rechtfertigt diese gekonnten Posen und Attitüden. Leicht und locker strömt die Stimme, raffiniert verzögert kommt mitunter ein Detail, beim Pianissimo öffnet sie kaum die Lippen, beweist aber bei den Leidens- und Hassausbrüchen auch die Kraft ihres stets wohltönenden Soprans.

Manchmal stützt sie sich leicht und sehr malerisch ans Pult von Maestro Marco Armiliato, der das Orchester der Deutschen Oper Berlin einfühlsam und mit großem Engagement zu Höchstleistungen anspornt. Das ist diesmal auf der Bühne platziert und gibt sein Bestes.

Vor allem der dritte und vierte Akt, wenn sich das Geschehen zuspitzt, überzeugt sowohl von der Komposition her als auch von ihrer Darbietung.
Bei den lyrischen Passagen tupfen die Hornbläser und Violinen (beim Pizzicati) ihre Noten förmlich in den Saal. Nun tritt auch der gerade zum dritten Mal in Folge als Chor des Jahres gekürte Chor der Deutschen Oper (geleitet von William Spaulding) in Aktion, und dessen Damen singen wie eine Engelsschar.
 
Der ruhende Pol des Geschehens ist Markus Brück in der Rolle des Regisseurs Michonnet. Er führt und betreut die Schauspielergruppe, um die es in diesem Stück geht. Vor allem Adriana, die er seit Jahren heimlich liebt, ohne dass ihr das bewusst ist. Gegenüber dem sehr viel jüngeren Maurizio, das sieht er ein, hat er keine Chance. Weich und doch kraftvoll strömt sein Bariton, wie stets ohne Tadel. Ein bescheidener Star des Ensembles der DOB, der vom Publikum ebenfalls großen Beifall erhält.

Als wahre Powerfrau setzt sich Anna Smirnova als Fürstin von Bouillon in Szene. Wenn ihr reiner Mezzosopran zum Forte ansetzt, kann sie alle anderen unter den Tisch singen. Doch stets bleibt die Stimme ohne Schärfe und blüht in den Piano-Passagen großartig auf. Auch sie liebt Maurizio, und der gibt ihrem Drängen zunächst um seiner Karriere willen nach.
Generell gesagt gehören der dritte und vierte Akt den beiden Damen. Als die nach einem Intrigenspiel erkennen, dass sie Konkurrentinnen sind, schlägt der Hass hohe Wogen. Der „Showdown“ der beiden Stimmen und Charaktere wird zum dramatischen Höhepunkt der Aufführung. Die Adlige sinnt auf tödliche Rache.

Der Macht der Fürstin hat Adriana als Schauspielerin – damals kein anständiger Beruf – nichts entgegen zu setzen, hat ohnehin allen Lebensmut verloren. Denn Maurizio ist verschwunden und Adriana ganz krank vor Sehnsucht.
Michonnet, nun ein väterlicher Freund, versucht sie zu trösten, hat sie doch gerade Geburtstag. Die Kolleginnen und Kollegen kommen mit Geschenken, Michonnet mit einer kostbaren Kette, die er vom Geld aus einer Erbschaft für sie gekauft hat. Ja, sie will wieder auf die Bühne, und Angela Gheorghiu beglaubigtdiesen Sinneswandel in jeder Weise.

Doch unter den Geschenken ist auch ein Veilchenstrauß. Den hat sie einst Maurizio geschenkt und nimmt nun an, er schicke ihn ihr zur Demütigung zurück. Nein. Der gelangte von Maurizio als Verlegenheitsgabe an die Fürstin, und die hat ihn vergiftet.
Der herbeigerufene Maurizio will alles aufklären und die Geliebte trotz ihres niederen Schauspielerstandes zu seiner Gemahlin machen. Kaufmanns facettenreiches Piano müsste jede Frau erweichen. Nun stehen die beiden, die sich zwischendurch oft angeschaut haben, nicht mehr vor sich hinsingend auf der Bühne, sondern spielen eine echte Liebesszene. Wie schön!

Schade, dass Jonas Kaufmann seine Kollegin bei der herzerweichend gesungenen Sterbeszene nicht noch einmal in die Arme nimmt. Dennoch ein wunderbarer Schluss, bedacht mit tosendem, lang anhaltendem Applaus für alle, auch die hier nicht namentlich genannten und insbesondere auch für Anna Smirnova. Aber anders als im Stück triumphiert eine glückliche Angela Gheorghiu als Königin der zweiten Halbzeit. Eine Sternstunde für Berlin und die Deutsche Oper. Ursula Wiegand

 

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
  www.jkaufmann.info back top