Konzertante Premiere an der Deutschen Oper mit einem Werk, das man
seltsamerweise in Berlin selten zu hören bekommt: Francesco Cileas
Diven-Vehikel par excellence 'Adriana Lecouvreur', 1902 an der Mailänder
Scala erfolgreich uraufgeführt, seither Schlachtross aller Verismo-Soprane
von Tebaldi bis Scotto, Caballé bis Gencer - um nur die legendärsten zu
nennen. An der Bismarckstraße war das Werk zuletzt 1938 zu erleben, damals
wegen der Achse Berlin-Rom auf den Spielplan gesetzt, diesmal wegen der
Superlativ-Sängerstars: Angela Gheorghiu und Jonas Kaufmann wollten vor
ihrer Bühnenproduktion der 'Adriana' in London einen musikalischen Testlauf
absolvieren und ‚beschenkten‘ Berlin mit einem raren (und teuren)
Gastauftritt. Das Resultat: Ein restlos ausverkauftes Haus und eine in
Huldigungsstimmung herbeigeeilte Fan-Schar, die sich nach jeder Nummer
stärker und stärker in Ekstase klatschte. Man kann, rein von der
Publikumsresonanz, von einem uneingeschränkten Triumph sprechen, auch von
einem Triumph des Star-Theaters und der Sängeroper, wie man ihn so in diesen
Breitgraden ebenfalls selten erlebt.
Cileas ‚Commedia‘ (wie es im Klavierauszug heißt) ist eine
leidenschaftliche Liebeserklärung an die Schauspielerin Adrienne Lecouvreur
(1692-1730), die auf der Bühne der Comédie Française die Pariser zu
Jubelstürmen hinriss. Mehrmals bekommt sie in der Oper Gelegenheit,
pathetisch Verse zu deklamieren und mit bewusst theatralischer Geste die
Zuschauer von ihrem außergewöhnlichen Spieltalent zu überzeugen. Schon ihr
Auftritt ist eine solche Deklamationsszene, die fließend übergeht in die
berühmte As-Dur-Arie 'Io son l’umile ancella del Genio creatore'. Adriana
verliebt sich im weiteren Handlungsverlauf in Maurizio, den Grafen von
Sachsen, und wird schließlich von ihrer adligen Rivalin, der Fürstin von
Bouillon, mit einem Veilchenblumenstraußvergiftet. Am Ende schickt sie alle
fort aus ihrer Theatergarderobe mit dem hoheitsvollen Satz: 'Scostatevi,
profani! Melpòmene son io!' Dann sinkt sie, wie in einem ihrer
Erfolgsstücke, melodramatisch zu Boden und stirbt, umflort von glitzernden
Streicher-Tremoli und beklagt vom schluchzenden Tenor ('Adriana! Morta!
Morta!'). So einfach und wirkungsvoll und unwiderstehlich kann Oper sein.
Und um das gleich zu sagen: So schön wie Jonas Kaufmann schluchzt derzeit
wohl kein anderer deutscher Tenor!
Sympathisches Rollendebüt
Ich habe Kaufmann zuletzt vor einem Jahr an der Deutschen Oper als
Cavaradossi in einer Repertoirevorstellung der 'Tosca' gehört und war
verblüfft, wie extrem seine Stimme in so kurzer Zeit gedunkelt ist, als wäre
seine Kehle zwischenzeitlich mit baritonaler Bronze ausgeschlagen worden,
aus der nur mehr mächtig imponierende, fast brünstige Töne hervor dringen,
die mit viel spürbarer Kraft heraus gestemmt werden - was Eindruck macht,
keine Frage. Besonders in einer Partie wie der des Maurizio, die
vergleichsweise tief liegt und somit Kaufmanns nachgedunkelter Stimme
entgegen kommt.
Auch hatte ich Kaufmann vor einem Jahr nicht als besonders
durchschlagkräftigen Heldentenor erlebt, sondern eher als lyrischen Sänger
mit schlanker Stimmführung und mittlerer Strahlkraft. Ob seine in 'Adriana'
gehörten Power-Laute einer veränderten Stimmproduktion geschuldet sind, ob
die Stimme seither gewachsen ist in Bayreuth oder ob vielleicht die vielen
an der Rampe installierten Mikros dafür da waren, Kaufmanns Stimme zu
verstärken (am Bühnenrand hingen vier unauffällige Lautsprecher), kann ich
nicht beurteilen. Jedenfalls klang Kaufmann am Premierenabend wie ein
wiedergeborener Mario del Monaco, der den Grafen von Sachsen in den 1960er
Jahren ebenfalls als kraftstrotzenden Heroen interpretiert hat. Kaufmann
überzeugte im konzertanten Kontext mit natürlicher Ausstrahlung und
ebensolchem Spiel und wirkte – wie immer – sympathisch. Er gab eine
ausgeglichene Interpretation der Rolle, die mehr Nuancen und Feinheiten
vertragen würde, die aber vermutlich bei einem Rollendebütanten nicht zu
erwarten sind. Man darf gespannt sein, wie sich sein Maurizio in London
weiterentwickelt und ob Kaufmann demnächst ins Bass-Fach wechselt, wenn die
Stimme weiter so rasant nachdunkelt.
Kieferlockerungs-Übungen
Ihm zu Seite – nach all den ärgerlichen Absagen der letzten Saison – trat
diesmal tatsächlich und leibhaftig Angela Gheorghiu in Berlin auf. Eine
optisch strahlende Erscheinung, mit Kostümen, die der neusten ‚Vogue‘
entnommen sein könnten: grau-braunes Abendkleid im ersten Teil, knielanges
lila Cocktailkleid nach der Pause, dazu Strass-besetzte Schuhe und so viel
funkelnder Schmuck, dass man fast eine Security-Firma herbei holen wollte.
Nicht zu vergessen: die aufwendig gelockte Frisur mit frisch getönten
schwarzen Haaren, vor der Pause mit Seitenscheitel, nach der Pause mittig
geteilt.
Gheorghiu ‚spielte‘ von Anfang bis Ende die exaltierte Operndiva,
strahlte in den Saal, wog ihren Körper mit der Musik hin und her, hielt sich
mit ausgestrecktem Arm malerisch am Geländer des Dirigentenpults fest, eine
Pose, die sie von Maria Callas übernommen hat, die damit indirekt auch ihren
Schmuck bestens ins rechte Licht rückte, stand mehrfach mit geschlossenen
Augen da, als sei sie völlig versunken in den Klängen, nur um eine Sekunde
später wieder sehr seltsame Kieferlockerungs-Übungen zu machen, die ich als
Zeichen von permanenter Anspannung und Nervosität deuten würde. Kurz: Es war
die ganz, ganz große Gheorghiu-Show, wie sie sich ihre vielen Fans nicht
schöner hätten wünschen können.
Auf mich wirkte das Ganze eher aufgesetzt und letztlich hilflos, also das
Gegenteil dessen, was die Figur der Adriana in der Oper sein soll, auch in
einer konzertanten Wiedergabe. Die Hilflosigkeit hatte ihren Ursprung
vermutlich im Gesanglichen. Eigentlich liegt die Partie der Adriana tief,
beansprucht vor allem die Mittellage in den melodramatischen Passagen und
verlangt in den Höhepunkten keine Spitzentöne, die übers hohe B hinausgehen,
meist sogar darunter liegen. (Was die Partie bei alternden Diven mit
Stimmproblemen extrem populär macht.) Gheorghiu ist von Haus aus ein
schlanker Koloratursopran, bei dem die Stimme vor allem in der oberen Oktave
Glanz und Kraft entwickelt. Die untere Oktave dagegen ist eher hauchig und
brüchig. D. h. als Adriana kann sie zwar mehrfach mit vehement
herausgeschleuderten Spitzentönen Eindruck machen; den Rest des Abends
kämpft sie aber gegen das viel zu laute Orchester an, um sich Gehör zu
verschaffen. In wieweit auch Gheorghiu akustisch verstärkt wurde, sei dahin
gestellt. Diese Verismo-Partie ist jedenfalls nur bedingt geeignet für sie.
Eine begnadete Schauspielerin à la Adrienne Lecouvreur, die „gerühmt wurde
für die wahrhaftige und unaffektierte Art ihres Spiels, das sich stark von
der Künstlichkeit und Egozentrik des Künstlermilieus unterschied“ (wie es im
Programmheft heißt), ist Gheorghiu jedenfalls nie und nimmer, eher eine
begnadete Selbstdarstellerin, die gerühmt wird wegen ihrer affektierten und
egozentrischen Art. Verkehrte Welt? Soetwas hört und erlebt aber jeder
anders. Die Mehrzahl der Berliner jubelte Gheorghiu hingerissen zu,
Gheorghiu ihrerseits zeigte sich am Schluss gleichfalls hingerissen von der
eigenen Performance. Das ansehen zu dürfen, war nicht unamüsant.
Tremolierende Erregung
Apropos Jubel: Den vehementesten Einzelapplaus nach einer Arie bekam
ausgerechnet die unbekannte junge Russin Anna Smirnova, die mit einer schier
unfassbaren Mezzo-Gewalt die intrigante Fürstin von Bouillon gestaltete.
Smirnovas üppigem Organ fehlt zwar ein klarer Fokus und sie hat auch den
typisch russischen ‚Wobble‘ im Timbre, aber wenn sie auf ‚full power‘
schaltet und wie ein Bulldozer durch die Musik rast, dann wackeln die Wände,
mit oder ohne verstärkende Mikros. Smirnova schaffte es auch, Gheorghiu im
Finale des zweiten Akts derart herauszufordern, dass ein echtes Diven-Duell
entstand, bei dem Funken flogen – und das Smirnova mühelos für sich
entschied. Den rundum überzeugendsten Eindruck machte auf mich dagegen
Bariton Markus Brück als Theaterdirektor Michonnet, der als Charakter
greifbar wurde, elegisch und sonor gesungen, teils sogar anrührend. Brück
fehlt zum internationalen Star nur ein winziger Funken von Gheorghius
überbordendem Diva-Gehabe. Vielleicht kann er das noch lernen, jetzt wo er
fast den ganzen Abend neben ihr spielen darf?
Am Pult stand der Italiener Marco Armiliato, der die delikate Partitur
nicht nur viel zu laut spielen ließ, sondern dem auch jede Leidenschaft und
Hingabe fehlte. Wer einmal gehört hat, wie Cileas 'Adriana' klingt unter den
Händen von beispielsweise James Levine, wo jedes Tremolo vor Erregung
vibriert, der kann hier nur konstatieren, dass Armiliato das Ensemble
ordentlich zusammen gehalten hat. Bei einer so prominent besetzen Produktion
hätte die Deutsche Oper Berlin doch ein anderes Kaliber Dirigent aufbieten
sollen, finde ich. Aber wie gesagt: Die Premierengäste schenkten dieser
'Adriana' dennoch dankbaren und nicht enden wollenden Applaus. Nächste Woche
gibt es eine weitere Aufführung, und dann wird sich zeigen, ob man abermals
72 Jahre wird warten müssen, bis zur nächsten Begegnung mit Cileas
Meisterwerk.
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