Augsburger Allgemeine, 05.10.2022
Rüdiger Heinze
 
Liederabend, Bad Wörishofen, 4. Oktober 2022
Sänger Jonas Kaufmann kämpft in Bad Wörishofen mit dem Applaus
 
Neues vom Gesangsstar Jonas Kaufmann: eine CD voller flammender Duette und sein Liederabend in Bad Wörishofen – getragen von der Fülle des Wohllauts. Vollkommenes Hörglück.

Bad Wörishofen Jonas Kaufmann: dieser Tage vernehmbar als Großmeister der Extreme. In Bad Wörishofen trat er bei einem Sonderkonzert nach dem Festival der Nationen in der Königsklasse des intimen Kunstlieds an, dabei der Nuance der Nuance huldigend; auf brandneuer CD entflammt, verausgabt er sich einmal mehr als Opernstar im großen italienischen Fach - mit Bariton Ludovic Tézier an der Seite.

Einerseits also feiner Silberstift im Unterallgäu, andererseits breiter dramatischer Pinselstrich mit Verve, aufgenommen in Rom. Kaufmann und Tézier treten aufwallend als Tenorheld und Baritonbösewicht gegeneinander an (etwa in „Otello" und den „Vepres sicielenes" von Verdi), aber auch als die berühmtesten Opern-Blutsbrüder im Geiste gedanklicher und politischer Freiheit („Don Carlos", ebenfalls Verdi). Großer vokaler Kampf hier, großes vokales Einverständnis dort, da wird nichts verschenkt: abgründig suggestiv vor allem Tézier, hitzköpfig vor allem Kaufmann. Und Antonio Pappano betätigt sich vor dem Orchester der Accademia Santa Cecilia brandstiftend (Sony classical, ab 7. Oktober im Handel).

Besser als Kaufmann aus dem Lautsprecher oder Kopfhörer zu vernehmen, bleibt allerdings, ihn in natura zu hören, von Mund zu Ohr, in Augenkontakt, im kleinen Raum,. diskret. Der Kursaal von Wörishofen ist der rechte Rahmen für gesungene Lyrik. Und das Publikum dort ist ja auch so dankbar; es klatscht praktisch immer, auch zwischen einzelnen Sinfonie-Sätzen. Dessen wohl vorgewarnt, hielt Kaufmann erst einmal eine kleine Ansprache, bedankte sich brav dafür, dass er an diesem Ort in Folge großer Künstler auftreten „darf" -und wies mit zart-deutlichem Fingerzeig darauf hin, dass man zwar immer klatschen dürfe, aber nicht immer klatschen müsse. Letzteres klappe auch ganz gut.

Es half nichts: Beratungsresistent prasselte nach jedem Lied der Applaus. Bis Kaufmann nach einem besonders leise ausgeklungenen, dennoch heftig beklatschten Lied deutlicher wurde: „Das ist exakt der Moment, den ich versuchte zu vermeiden!" Aber nicht einmal das half umgehend. Erst nach dem übernächsten Lied, Hugo Wolfs „Verborgenheit", trat endlich Ruhe, Konzentration, anhaltende Andacht ein.

Und Andacht ist ja nun wirklich auch angebracht hinsichtlich der Reflexionen, Beschwörungen, stillen Betrachtungen im Kunstlied und hinsichtlich Kaufmanns hier vielfach leiser Einfühlungsgabe. Die wenigsten Kunstlieder sind Kurz-Opern wie ansatzweise „Es war ein König in Thule" oder „Die Loreley" -‚ die meisten bleiben doch die reine Verinnerlichung. Am
schönsten abzulesen an Gustav Meilers „Ich bin der Welt abhanden gekommen", das den ersten Abendteil mit Liedern von Beethoven bis Zemlinsky beschloss. Hier funktioniert musikalische Textausdeutung nicht über Schlüsselbegriffe, sondern über das Evozieren einer Stimmung, einer Haltung -nämlich der selbstgewählten Einsamkeit. Ein ganz großer, behutsamer Moment des zweistündigen Abends!

Die Fülle von Jonas Kaufmanns feinsinnigen Wohlklang bleibt schon ein besonderes Hörglück. Dass sich da auch dem volksliednahen „Auf Flügeln des Gesanges" (Mendelssohn) eine hochkultivierte, perfekt gestützte, profund-strömende, resonanzstark-virile Stimme widmet, ist ein besonderer Luxus. Und den Höhepunkt seiner Kunst erreicht er, wenn er Spitzentöne im plötzlichen zweifachen piano ansetzt und verhaucht („Sang eine Nachtigall" in Brahms' „Waldeseinsamkeit").

Der zweite Teil des Abends war Franz Liszt gewidmet, und hier wurde besonders deutlich, welche wesentliche Rolle Helmut Deutsch als Klavierbegleiter spielt: die des tragenden Fundaments, des Wegbereiters, Impulsgebers, Vermittlers. Liszts „drei Zigeuner"- sind auch eine Klavier-Ballade. Mit vier Zugaben endete das erfreulich in sich gekehrte Recital, und bei Ralph Benatzky dankbar angenommen durfte das Publikum sogar mitsummen.













 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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