tabularasa, 16. Juli 2021
Hans Gärtner
 
Wagner: Tristan und Isolde, Bayerische Staatsoper ab 29.6.2021
Im Wunderreich der Nacht – Münchens neuer „Tristan“ als Traumspiel – ein Ereignis
 
Vor 10 Jahren sah man noch Münchens seinerzeit „neuen Tristan“ von 1998, inszeniert vom enfant terrible Peter Konwitschniy. Sein Konzept: so umwerfend wie umstritten. Aber – oder weil? – eben „neu“. Da gab`s noch ein Segelschiffsdeck, einen bunten Blätterwald um König Markes Burg und einen Dias-Lebensrückblick auf Karneol, wo der „hehre Helde“ an seiner sich selbst zugefügten tödlichen Wunde laborierte. Im neuesten Münchner „Tristan“ ist davon nix zu sehen. Ganz andere Optik. Kreiert von Margorzata Szczesniak (Bühne und Kostüme), Felice Ross (Licht) und Kamil Polak (Video). Auch den Choreograf Claude Bardouil hat Krzysztof Warlikowki für seine fünfte Nationaltheater-Regie verpflichtet. Um Richard Wagners oft bemühtem Ruf „Kinder! Macht Neues! Neues! Und abermals Neues!“ (1852 an Franz Liszt) gerecht zu werden?

Warlikowskis Einheitsbühnenraum für Wagners „Handlung in drei Aufzügen“ von 1865, uraufgeführt am Münchner Hof- und Nationaltehater – eine Kirschholz-vertäfelte, nach vorne geöffnete Halle – mag so seltsam anmuten wie das künstlich wirkende Puppenpaar. Erst im 3. Akt lässt es sich irgendwie in Tristans Herkunftsumfeld einordnen. O ja, man hatte zu rätseln in diesem „Tristan“, der die Opernfestspiele `21 eröffnete. Und bis Sommer `22 in der Versenkung verschwindet. Schade. Denn diese Version einer erst im Tod sich erfüllenden Lebensliebe hat, durchaus vergleichbar mit der Konwitschnys, eine Menge Potential und Zündstoff. Vorausgesetzt, dass der Zuschauer sich Warlikowskis Lieblingsidee anschließt, das Liebespaar in seiner schicksalhaften Vereinsamung und Parallelität durch ätherische, schwer zu entschlüsselnde Video-Einblendungen stumm zu Wort kommen zu lassen.

„Tristan und Isolde sind gestorben; aber sie sind nicht tot.“ Konwitschnys These hat Warlikowsky auf seine Art gedeutet. Er verstärkt sie noch durch die Idee der Unvereinbarkeit zweier Liebender in dieser Welt, Wagners dunklem „Wunderreich der Nacht“, in das er das Paar eintauchen lässt, nur durch eine zarte Andeutung ihrer (un)möglichen körperlichen Vereinigung. Ergreifend, erschütternd das Flehen der nebeneinander sitzenden Protagonisten: „O sink hernieder, / Nacht der Liebe, / gib Vergessen, / dass ich lebe; / nimm mich auf / in deinen Schoß, / löse von / der Welt mich los!“ Sehnen. Sterben. Diese Metapher durchdringt Warlikowskis Neuinszenierung: ein Traumspiel zum Tode.

Jonas Kaufmann, Tristan und Anja Harteros, Isolde sind das seit Richard Jones` „Lohengrin“ 2009 endlich wieder zusammengeführte Münchner Operntraumgespann. Die beiden Stars wagten sich an die für sie, im mittleren Lebensalter stehend, neuen Wagner-Töne. Der „Tristan“ ist ja ein anderer Wagner als der des „Lohengrin“. Mit ihrer sich verausgabenden Hingabe an das Ausnahmewerk und ihren emotionsgeladen eingebrachten, das heißt schlanken, lyrischen, nirgendwo heldenhaft posaunten „Tristan“-Melismen erfüllen sie Wagners Ideal von dramatischem und Gesang und lyrischer Deklamation voll und ganz. Ein Ereignis allein dieses Sängerwunder. Hinzu kommen die herausragenden Leistungen von Okka von der Damerau als allheilende Brangäne, Wolfgang Koch als väterlicher Kurwenal, auch Mika Kares` als geknickter Marke.

Das eigentliche Ereignis aber ist der – unter Freuden-Tränen sei`s vermerkt – Spiritus Rector am Pult des über die Maßen geforderten, grandios spielenden Bayerischen Staatsorchesters Kirill Petrenko. Sein absolutes Spitzen-Dirigat seiner Münchner Glanzzeit ist ab sofort die Nummer 1 unter allen „Tristan“-Wiedergaben. Da verblasst selbst manch hochkarätiger Münchner Vorgänger. Petrenkos ebenso herzhaft-strenger wie manischer Zugriff auf Wagners Unikats-Partitur hält – ein Wunder für sich – die Waage zwischen feenhaft leichtem Kapellmeister-Feinsinn und ausladend breiter Klang-Opulenz.

Wenn Petrenko, mit den Protagonisten auf der Bühne, den durch Stampfen und Trampeln verstärkten Jubel des Publikums (13. 7. 2021) entgegennimmt, wirkt er wie ein verschmitzter Bub, der sagen will: „ Was wollt ihr denn? Das ist es, so gehört es!“ Abgesehen davon, ob es klug war, die Festspielpremiere als „Oper für alle“ (31. 7., Max-Joseph-Platz) zu wählen: Diese mit Bedacht zu goutierende intellektuelle Aufführung setzt einen dicken Schlussstrich unter die glückvolle Ära Nikolaus Bachler als Intendant.






 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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