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Augsburger Allgemeine, 30.6.2021 |
Von Rüdiger Heinze |
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Wagner: Tristan und Isolde, Bayerische Staatsoper ab 29.6.2021
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In diesem "Tristan" dient die Liebe als Mittel zum Tod |
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Die Münchner Opernfestspiele bringen „Tristan und Isolde“ in einer schwarzen Inszenierung. Wie schlugen sich Jonas Kaufmann und Anja Harteros in ihren Rollen-Debüts?
Die berühmtesten Liebespaare der Literaturgeschichte, sie stehen ja immer
auch für eine Überhöhung, exzeptionelle Unbedingtheit und Reinheit ihrer
Liebe. Sie sind Denkmäler. Und wenn Richard Wagner mit rund 40 Minuten den
längsten Liebesrausch bei höchster Liebeslust komponierte, diesen
heimlich-nächtlichen Beilagerakt von Tristan und Isolde, der abrupt und in
flagranti durch Isoldes Bräutigam König Marke gekappt wird, dann lebt,
fühlt, kämpft, leidet der Voyeur, die Lauscherin im Parkett mit dem
entfesselten Liebespaar. In Bayreuth sah man das Schäferstündchen schon mal
in einem Blütenmeer, optisch zumindest hochromantisch.
Das aber ist
nur die eine Seite dieser Handlung in drei Aufzügen. Krzysztof Warlikowski
blickt für die erste große, repräsentative Premiere der Münchner
Opernfestspiele 2021 auf die andere Seite der Münze – und sieht Tod und
Todestrieb. Neben den „kleinen Tod“ der konvulsivischen Erfüllung tritt
übermächtig der große, endgültige. Seine Inszenierung ist nicht romantisch
dunkelblau und traurig, sie ist todesschwarz und lebenstragisch. Wagners
Libretto gibt das gewiss her, nur wird das selten so konsequent, so
wörtlich, so klug genutzt.
Die Inszenierung von Krzysztof Warlikowski
zeigt auch das Rohe und Gemeine Warlikowski schält ernüchternd heraus,
was diese Liebe zwischen Tristan und Isolde so verfahren, ja verkorkst
machte – bevor die beiden jenen Liebestrank schlucken, der zwar die
gegenseitigen Gefühle wallen lässt, aber nicht ungeschehen macht, was schon
passiert ……dass nämlich Tristan einst den Verlobten Isoldes mordete, dass
Isolde den schwer verletzten Tristan später dennoch gesund pflegte – und sie
von dem Genesenen zum perversen Dank mit Cornwalls König Marke verkuppelt
wird…Viel Rohes und Gemeines kam im Leben Isoldes zusammen – und das lässt
sie Tristan im ersten Aufzug deutlich spüren. Sie ist zumindest ihm
gegenüber Herrin der Lage und zwingt ihn – zur Erzählung seiner
Lebensrettung – demonstrativ in die Höflichkeit, ihr Festgewand und
Perlenkette anzulegen, auf dass sein Verrat an ihr auch tätlich dokumentiert
werde. Dann verlangt sie gemeinsame Sühne – mit dem ihr wünschenswerten
Haupteffekt, dem ungeliebten Marke gar nicht erst gegenübertreten zu müssen.
Doch der Todestrank ist ein Liebestrank, der den verzweifelten Wunsch, alles
unwiderruflich hinter sich lassen zu können, weder für sie noch für ihn
erfüllt. Im Grunde wird alles noch quälender. Wonne voller Tücke.
In
die künstlerische Bilanz von Staatsopernintendant Nikolaus Bachler wird
eingegriffen Und so sitzen Tristan und Isolde zum eigentlichen Liebesakt
drei Meter voneinander entfernt – in schweren Ledersesseln dieser von
Ausstatterin Malgorzata Szezesniak hauptsächlich ins Fin de siècle
transportierten Tragödie. Ohne sich zu berühren, sinnieren und grübeln sie
starrend auf eine Schale aus dem Medizinschränkchen, wie sie über ihre Liebe
möglichst schnell zu Tode kommen. In der Schale liegen zwei Spritzen – und
König Marke ertappt die beiden nicht im Rausch der Körper, sondern beim
Suizidversuch. Der öde Tag zum letzten Mal! Vollends entschlüsselt dann
der dritte Aufzug, warum auch Tristan nichts am Leben liegt. Auch er hat
seinen Packen zu tragen; er, indem er ohne elterliche Liebe aufwuchs.
Verwirkt, verknotet alles. Video-Sequenzen, Waisenkinder-Statisten, eine
Freud’sche Couch illustrieren es. Und wenn’s dann in dieser Liebestrank-Oper
im Nationaltheater München ans Zählen der Opfer geht, stellt Marke trockenen
Basses fest: Tot denn alles! Alles tot!
Und damit hat Warlikowski,
gleichsam der Psychoanalytiker unter den deutungsstarken gegenwärtigen
Opernregisseuren, noch einmal mit großem finalen Schub in die künstlerische
Bilanz des scheidenden Staatsopernintendanten Nikolaus Bachler eingegriffen.
Seine Verpflichtungen (unter anderem auch für die „Frau ohne Schatten“, „Die
Gezeichneten“ und „Salome“) zählen wie die Verpflichtung des mittlerweile zu
den Berliner Philharmonikern gewechselten Kirill Petrenko zu den
strategischen Großtaten Bachlers, der in den letzten drei Jahren auch eine
selten glückliche Hand für die Solistenbesetzung bewies (und hohen Einsatz
auch für die Präsenz der zeitgenössischen Kunst auf der Bühne und in den
Programmheften).
So fielen die Rollen-Debüts von Jonas Kaufmann und
Anja Harteros als Tristan und Isolde aus Tristan und Isoldes Todestrieb
war beiden, Jonas Kaufmann wie Anja Harteros, ein Rollen-Debüt. Er
triumphierte – sowohl heldisch als auch antiheldisch und schmerzensreich.
Von der Brust bis zur Nasenwurzel wirkt perfekt – und erholt – alles
zusammen, was Ton und Wort zu erhellender Geltung und zu erhellendem Hören
bringt. Groß, ganz besonders groß in den Passagen, die Kaufmann
kunstliedhaft ausdeutet. Dagegen sollte Anja Harteros als Hochdramatische
noch freier, farbenreicher, differenzierter bei emotionalen Ausbrüchen in
der Höhe werden. Ihre Tiefe und Mittellage sind warm, satt, strömend; ihre
Höhe ist vorerst – bis hin zum Gellen – ein Kraftakt. Kaufmann tönt
tragfähig in der Höhe durch Resonanzraumeinsatz, Harteros forciert dort
eindimensional. Was aber der frenetische Applaus für beide nicht
unterschied. Überschüttet von Begeisterung zudem Wolfgang Koch, der seiner
liebenden, dienenden, kanalisierenden Kurwenal-Rolle vokale und
darstellerische Charakterschärfe mitgab, Mika Kares als profunder König
Marke, Okka von der Damerau als vergleichsweise hell warnende Brangäne.
Und der vergötterte Kirill Petrenko vor dem nun wieder in Sollstärke
auftretenden Bayerischen Staatsorchester? So, wie Warlikowski das Libretto
als Leben und Steigerung hin zum Tode liest, so legt Petrenko die
Partitur-Exegese an als eine sich fortschreitend intensivierende Entwicklung
hin zur Vielfach-Tragödie: vom verhaltenen, tastenden Vorspiel über den
sinnwühlenden zweiten Aufzug bis zur bohrenden Verzweiflung im dritten
Aufzug. Dass dazu dies alles fein geschliffen erklang, versteht sich bei
Petrenko. Dankesjubel.
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