Merkur, 15.05.2021
von Markus Thiel
 
Wagner: Die Walküre, 1. Akt, Bayerische Staatsoper, 13. Mai 2021
Neustart an der Bayerischen Staatsoper mit „Walküre“: Sieg über den Frust
Ein halbes Jahr lang war das Haus geschlossen. Mit einer hochemotionalen Aufführung des ersten „Walküre“-Akts meldet sich die Bayerische Staatsoper zurück.

Ultimativer Triumph klingt genau so. Wenn Lise Davidsen als Sieglinde kurz Luft holt, um „Siegmund!“ – weniger zu singen, sondern um mit diesem hohen A das Nationaltheater zu fluten. Nicht nur Erkenntnis um den geliebten Zwillingsbruder blitzt da auf, auf einmal scheint es, als werde hier ein Sieg gefeiert über die vergangenen 14 Monate. Über die Entbehrungen, den Frust, die Wut, das Leid, über das vermaledeite C-Wort, das auch zum widersinnigen Kulturverbot provozierte.

Selten war ein erster „Walküre“-Akt emotional so aufgeladen wie an diesem Donnerstagabend in der Bayerischen Staatsoper. Dort, wo jenes Wagner-Opus, noch so ein Bezug, am 26. Juni 1870 uraufgeführt wurde. 70 konzertante Minuten, mit denen das Haus vor 700 negativ getesteten oder doppelt geimpften Zuhörerinnen und Zuhörern aus dem Zwangsschlaf erwachte. Über ein Jahr habe man davon geträumt, sagt Intendant Nikolaus Bachler zu Beginn mit leicht belegter Stimme. Ein „besonders emotionaler“, ja „ein historischer Moment“.

Standing Ovations vor dem ersten Ton

Schon vor dem ersten Ton, als die Musikerinnen und Musiker die Bühne betreten, reißt es das jubelnde Publikum von den Sitzen. Vergessen da Kinderkrankheiten: Vor dem Hintereingang am Marstallplatz hatte sich zuvor alles zur langen Schlange gestaut. Nur ein Kontrolleur an der Tür, dem man das Smartphone mit dem Testergebnis oder den gezückten gelben Pass plus ausgedrucktem Ticket entgegenhielt – da ließe sich nachbessern. Wer vom Max-Joseph-Platz kam, war offenbar besser dran.

Hunderte Gäste in den Foyers, das Stimmengewirr, die erwartungsvollen Begrüßungen, ein wie vibrierendes Nationaltheater: Nach pandemischer Vereinzelung ist das die (schöne) neue Welt. Doch ob an den Garderoben oder in Gängen und Sälen – bei 1,5 bis zwei Meter Abstand bleibt es. Meistens. Drinnen jeweils ein leerer Sitz zwischen Einzelkartenbesitzern oder Paaren, davor und dahinter eine freie Reihe, und doch, nach absurden 50er- oder 200er-Begrenzungen, der verblüffende Eindruck: Das Haus ist voll.

Die Neustart-Besetzung, die man spendierte, ist ein Mirsan-mir auf Staatsopernart. Jonas Kaufmann hat die Zwangspause hörbar gutgetan. Der relativ tief gelagerte Siegmund stand seinem Tenor ohnehin stets perfekt. Doch nun: viel Zurückgenommenes, Lyrisches, viele Nuancen auf Zärtelmodus, kaum Phrasen von der Hantelbank. Je näher das Finale rückt, umso mehr Muskelspiele. Doch wer diese Sieglinde besingen muss, hat einen schweren Stand.

Wann zuletzt ward in Bayerns Opernschatztruhe eine solche Hochdramatische erlebt? Die Stimme der Norwegerin, der überreiche, wie mühelos erzeugte Klang in allen Lagen, die langen Bögen mit der perfekten Atemkontrolle, die sieghaft in den Raum gestellten Spitzentöne, all das birgt Suchtgefahr und provoziert zu Vergleichen mit legendären Vorgängerinnen: Wächst da eine Jahrhundertsopranistin heran?

Drei Lied-Zugaben als leiser Schlusspunkt

Dirigent Asher Fisch ist es nicht zu verdenken, dass er diesen Solisten nachgibt. Es ist einer der langsamsten ersten „Walküre“-Aufzüge. Ein ständiges Verweile-doch, mehr Arien-Abend statt dramatisch kulminierende Entwicklung. Egal: Das Bayerische Staatsorchester, bis in die Finger- und Haarspitzen motiviert, genießt vor allem mit Bläsersoli die Neugeburt. Ein Ensemble, das macht- und lustvoll seine Wagner-Kompetenz ausspielt – und das am Ende, nach Jubel, Trampeln und erneuten Standing Ovations, von der Bühne muss.

Noch einmal öffnet sich der Vorhang, und Asher Fisch sitzt nun am Klavier. Kaufmann gestaltet sehr verhalten Wagners „Träume“. Davidsen besingt mit Edvard Griegs „Våren“ den Frühling. Und Georg Zeppenfeld, der zuvor als Hunding eine Extra-Portion Schwärze versprühte, beendet den Abend mit dem Monolog des Morosus aus der „Schweigsamen Frau“ von Strauss: „Wie schön ist doch die Musik.“ Doch statt fortzufahren mit „aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist“, variiert Zeppenfeld „gerade in diesen Zeiten“. Ein leiser, elegant gesetzter Schlusspunkt. Wem nicht spätestens jetzt das Auge feucht wird, ist ein Eisblock.




 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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