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BR Klassik, 14.05.2021 |
von Bernhard Neuhoff |
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Wagner: Die Walküre, 1. Akt, Bayerische Staatsoper, 13. Mai 2021
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"FAST EIN HISTORISCHER MOMENT" |
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Es geht wieder los: Nach mehr als einem halben Jahr ohne Publikum im Saal
hat die Bayerische Staatsoper am 13. Mai erneut ihre Pforten geöffnet. 700
Plätze, also etwa ein Drittel, standen zum Verkauf. Eintritt nur mit
zertifiziertem Test und Maske. Zum Neustart gab es eine konzertante
Aufführung des ersten Akts von Richard Wagners "Walküre" – prominent besetzt
mit Jonas Kaufmann, Lise Davidsen und Georg Zeppenfeld als Solisten. Am Pult
stand Asher Fisch. BR-Klassik-Redakteur Bernhard Neuhoff war Zeuge dieses
ganz besonderen Abends.
Warum eigentlich der Aufwand? Ist das nicht
völlig irre? An die 100 Musiker spielen, so laut sie können – und ein
einzelner Mensch singt dagegen an, lässt sich tragen von den Klangstrudeln
des Orchesters, droht darin zu ertrinken, zu versinken und überstrahlt
schließlich alles, die tremolierenden Streicher und die messingblitzenden
Hörner und was da sonst noch bläst und schlägt – ein einzelner Mensch, der
nichts hat als seinen Körper, jahrelange Übung und die Inspiration des
Augenblicks.
OPER, DAS UNMÖGLICHE KUNSTWERK Völlig irre? Ja
natürlich. Die Zitate sind ja sprichwörtlich: Die Oper ist das unmögliche
Kunstwerk, ein absurdes Ding. Schlichtweg bekloppt, auf die positivst
mögliche Weise. Wenn Jonas Kaufmann aus voller Kehle und auch ein wenig
kehlig "Wälse" ruft, weil er ganz dringend ein Schwert braucht, und wenn
Lise Davidsen endlich einen passenden Namen für ihn gefunden hat und das
Nationaltheater beim Wort "Siegmund" mit ihrem massigen Sopran überflutet,
weil sie in ihren Zwillingsbruder schockverliebt ist, dann spürt man endlich
wieder, was das ist: Oper. Nämlich etwas, was sich zwischen Körpern im Raum
ereignet.
ÜBER DIE KRAFT DES LIVE-ERLEBENS Verrückt war das schon
immer, aber wie verrückt, das weiß man erst seit der Erfindung des
Mikrophons. Mit Verstärker und guten Boxen ist sowieso jeder Mensch lauter
als 100 Musiker, das ist überhaupt kein Problem, dafür muss man kein Jonas
Kaufmann sein. Aber alles an der Oper, gerade auch bei Wagner, ist genau
darauf ausgerichtet, dass es keine Mikros braucht, dass das Unmögliche
wirklich wird: Dass man einen atmenden Körper hört, keinen Lautsprecher. Das
ist der Witz an der Sache. Nur weil es früher keine Mikrophone gab, wurde
die Kunst des Operngesangs das, was sie ist. Und deshalb ist Oper in ihrer
wunderbaren Verrücktheit ihrem Wesen nach live. Es kann natürlich auch sehr
schön sein, von einer schönen Sache erzählt zu bekommen. Aber das ist halt
nicht die Sache selbst. Streams sind oft toll, aber nie Oper.
STANDING OVATION GLEICH ZU BEGINN Standing Ovation gibt's gleich zu
Beginn – einfach zur Begrüßung. Wir sind da, ihr seid da, das ist gut. Denn
jetzt kann es wieder Oper geben. Bald auch wieder szenisch: Die
Neuinszenierung von Aribert Reimanns "Lear“ wird am 23. Mai voraussichtlich
vor Publikum Premiere haben. Intendant Nikolaus Bachler spricht von
Vorsicht, Umsicht und Zuversicht. Und, nach einem halben Jahr ohne Publikum,
von einem "fast ein bisschen historischen Moment." Und dann gibt Asher Fisch
den Einsatz. Er formt natürliche Phrasen, macht Kammermusik, baut
Steigerungen mit langem Atem und bringt den warmen Klang dieses großartigen
Orchesters ganz ohne Druck zur Entfaltung. Nur am Schluss wünscht man sich
etwas mehr Enthusiasmus. Trotzdem eine tolle Leistung.
JONAS KAUFMANN
IN BESTFORM Der erste Akt der "Walküre" ist wirklich das passende Stück
für den besonderen Moment. Nicht nur, weil er von diesem Orchester in diesem
Haus uraufgeführt wurde. Sondern auch, weil der Akt die Oper auf ihre drei
Basiselemente reduziert: Tenor liebt Sopran, Bass stört. Und wie großartig
ist dieses Dreieck hier besetzt! Georg Zeppenfelds Hunding ist perfekt
textverständlich und hat eine ebenso furchteinflößende wie
ehrfurchtgebietende Tiefe. Jonas Kaufmann ist in Bestform, ein sehr
menschlicher, durchaus verletzlicher Held. Sein dunkler Tenor überzeugt
nicht nur durch Kraftentfaltung, sondern mehr noch in den lyrischen Momenten
dieses gebrochenen Helden.
LISE DAVIDSENS UMWERFENDER SOPRAN
Buchstäblich umwerfend singt Lise Davidsen. Groß, fast wuchtig, aber stets
fokussiert ist ihr Sopran – ein Naturereignis und zugleich ganz große Kunst.
Doch dann bekommt der Abend einen überraschenden, nachdenklichen und nach
innen gewandten Schluss. Drei Zugaben gibt es. Jeder der drei Solisten singt
ein Lied, begleitet von Asher Fisch am eilig auf die Bühne gerollten Flügel.
Als letzter Georg Zeppenfeld. Den Schlussmonolog aus "Die schweigsame Frau"
von Richard Strauss hat er umgedichtet. Statt: "Wie schön ist doch die
Musik, aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist", singt er: "aber wie schön
erst – in diesen Zeiten". Das ist sehr rührend und in seiner Schlichtheit
stimmt das absolut.
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