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nmz, 20.04.2021 |
Von Joachim Lange |
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Wagner: Parsifal, Wiener Staatsoper, 18. April 2021
(Stream, Aufzeichnung vom 11. April 2021)
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Aus einem Gralsgefängnis |
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An der Wiener Staatsoper hat Kirill Serebrennikov von Moskau aus
Wagners „Parsifal“ inszeniert
Endlich! Die Wiener
Staatsoper hat vorgemacht wie es geht! Das Haus am Ring und sein neuer
Intendant Bogdan Roščić haben die Produktionsbedingungen der Pandemie
angepasst und nicht das Resultat den Bedingungen. Es sah aus wie Oper (ohne
Abstandsregeln) aussehen muss. Man ist auch nicht auf eine Kammeroper oder
ein chorloses Solistenstück ausgewichen, sondern hat mit Wagners „Parsifal“
gleich den Blockbuster schlechthin gestemmt. Damit haben sie obendrein ein
politisches Husarenstück vollbracht.
Auch wenn es pathetisch klingt,
kann man sagen: für die Freiheit der Kunst! Aber nicht nur, weil Wien (wie
schon die Salzburger Festspiele im vorigen Sommer) mit einigem Aufwand -
auch an Intelligenz – die Kunst als solche gegen die Pandemie verteidigen,
sondern obendrein deren Freiheit im engeren Sinne.
Die politische
Führung in Russland hat den Regisseur und Theaterleiter Kirill Serebrennikov
schon lange auf dem Kieker. Eigenes Theater wegnehmen, Finanzprüfer in
Stellung bringen, Kontrollfessel an den Fuß, Reisepass einkassieren – so
macht man das, wenn man ihn wegen internationaler Bekanntheit nicht einfach
von der Bildfläche verschwinden lassen kann. Unter diesen Voraussetzungen
kann man die Einladung an den Russen, per Videoschaltung und mit
Hilfestellung vor Ort den „Parsifal“ neu zu inszenieren, nur begrüßen. Übung
hat er mit dieser Art von Inszenierungsarbeit von seiner Moskauer Wohnung
aus zur Genüge. Etwa in Stuttgart, wo der neue Chefdramaturg der Staatsoper
Sergio Morabito über viele Jahre den Ton mit angab.
Unter diesen
Voraussetzungen könnte es einem fast schon egal sein, was dabei rauskommt.
Muss es aber nicht. Denn Serebrennikov hat den im Jugendstilglamour
erstarrten, einfallsarmen Vorgänger-Parsifal aus dem Jahre 2017 von Alvis
Hermanis (der wiederum in Deutschland politisch angeeckt ist) durch eine
spannende, hochpolitische Version ersetzt, bei der der Russe nicht nur für
Regie, sondern auch für die Ausstattung verantwortlich ist. Herausgekommen
ist eine Inszenierung, die in Putins Reich wohl kaum eine Chance hätte, auf
die Bühne zu kommen.
Natürlich löst er nicht alle Widersprüche, die
schon in Wagners quasireligiösem Stück angelegt sind und sich bei jeder
Adaption ins Gegenwärtige oder ins Allgemeine auch neu ergeben. So braucht
man schon eine Weile, um zu akzeptieren, dass auch Gurnemanz zu den Insassen
jener Gralswelt gehört, die hier ein Allerweltsgefängnis ist. Mehretagig,
mit vergitterten Zellen, um einen Innenhof herum. Mit Gefangenen, die
erstaunlich authentisch die Machogesten und den Habitus von Hormonstau drauf
haben. Nicht die Spur von Ballett auf peinlichen Abwegen. Da ist genügend
nackte Muskelmasse, um all die Speer- und Gralssymbolik in die allseits
begehrten Tattoos zu verbannen, die ausgerechnet Gurnemanz als graue Eminenz
fleißig sticht. Über der düster vergitterten Welt gibt es auf drei
Bildschirmen über dem Bühnenraum schwarz-weiße Video-Einblicke in die Zellen
oder die geradezu postapokalyptisch verfallene Betonruine, in der
Serebrennikov nahe Moskau gedreht hat. Hier ist die Gralswelt offenkundig
zur Kenntlichkeit eines Gefängnisses entstellt.
Kundry kommt als
resolute und gewiefte Journalistin mit Fotoapparat. Ihr Chef Klingsor
residiert in einer Lifestyle-Redaktion und benimmt sich, als wäre er Harvey
Weinstein persönlich. Da der Hokuspokus mit dem Speer diesmal eh fehlt, ist
es nachvollziehbar, dass sie ihn am Ende eiskalt erschießt. Ein Quantum
Notwehr könnte sie wohl geltend machen.
Im dritten Akt ist Gurnemanz
zunächst nicht mehr von jungen Männern, sondern nur noch von alten Frauen
umgeben. Die halten sich mit Näharbeiten und dem Basteln von Kruzifixen über
Wasser. Das Gefängnis wirkt jetzt zwar verlassen, sieht aber immer noch so
aus. Bis Parsifal die Zellen und das Tor endgültig öffnet und alle in die
Welt hinaus schickt. Amfortas und Kundry Arm in Arm. Und allein in eine
andere Richtung auch Gurnemanz. Parsifal bleibt einsam auf den Stufen
zurück. Man sieht seinen nachdenklichen Zügen an, dass er nicht weiß, ob das
nun wirklich eine gute Idee war.
Serebrennikov geht mit seiner
Deutung Wagners Weg Richtung christlicher Erlösungshoffnung durchaus ein
Stück mit – biegt dann aber in Richtung gegenwärtiger Befindlichkeiten ab.
Samt des Kunstgriffs einer Verlegung der Handlung in die Erinnerung des
reifen, erwachsen freien Parsifals, der sich vom Ende her an den Weg dorthin
erinnert. Für die beeindruckend detailgenaue Personenregie, vor allem für
die Großeinstellungen der Kameras ist dieser doppelte Parsifal ein
Glücksfall. Der Schauspieler Nikolayi Sidorenko spielt als jugendlicher
Parsifal überzeugend die Suche nach sich selbst, an die sich Jonas Kaufmann
als gereifter Parsifal zwischen lebhaft und schmerzlich erinnert. Den
Verführungsversuchen, denen der Junge durch die höchst attraktive Kundry
ausgesetzt ist, verpasst das eine besondere Dosis erotischen Knisterns.
Diese Dopplung erlaubt eine personifizierte Selbstreflexion mit dem Wissen
vom Ende her.
So schlägt dann auch der von Parsifal getötete Schwan
am Ende wieder die Augen auf. Hier war es ein androgyner Jüngling, der sich
dem jungen Parsifal unter der Dusche genähert hatte und dem der mit einer
Rasierklinge die Kehle durchgeschnitten hatte. Offenkundig schwingt in
diesem Bild bei Serebrennikov ein sexueller Subtext mit, der mit der
verklemmten russischen Staatsraison kollidieren dürfte.
Musikalisch
bietet die Wiener Staatsoper nicht weniger als Referenzqualität. Am Pult der
Wiener Philharmoniker ist dieser Parsifal natürlich Chefsache. Der
wagnererprobte Musikdirektor Philippe Jordan schlägt mit einer Stunde
vierzig für den ersten Akt ein eher zügiges Tempo an, das gleichwohl nie
überzieht, sondern den Protagonisten alle Freiheiten zur vokalen Entfaltung
lässt. Jonas Kaufmann ist als gereifter Parsifal in Hochform. Das
Kundrydebüt von Elīna Garanča ist eine Sensation. Georg Zeppenfeld ist als
beredter Gurnemanz mehr als eine sichere Bank. Ebenso wie Wolfgang Koch als
fies auftrumpfender Klingsor und Ludovic Tézier als selbstmordgefährdeter
Amfortas, für den sein Vater Titurel nur die halluzinierte Stimme von Stefan
Cerny in seinem Kopf ist. Dazu der famose Staatsopernchor!
Das Wiener
Publikum würde wohl, wenn es denn wieder ins Haus dürfte, die Protagonisten
feiern und sich beim Regieteam lautstark austoben. |
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