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Kleine Zeitung, 18. April 2021 |
Von Martin Gasser |
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Wagner: Parsifal, Wiener Staatsoper, 18. April 2021
(Stream, Aufzeichnung vom 11. April 2021)
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Das große Wunder blieb aus |
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Trotz Weltklasse-Besetzung und des in Russland festsitzenden
Star-Regisseurs Kirill Serebrennikow: Das erwartete „Parsifal"-Wunder
stellte sich nicht ein. Oder nur partiell.
Ein Gefängnis,
Gangs, Gewalt. Ein ewig revoltierender Häftling Amfortas und der brutale
„Neue", Parsifal, der gerade einen sterbenden Konkurrenten auf dem Boden der
Duschräume hinterlassen hat. Die Journalistin Kundry ist fasziniert von
diesem Parsifal, den sie zum Protagonisten ihrer Fotoreportage aus dem Häfen
macht. In der Redaktion sind schließlich der sinistre Herausgeber Klingsor
sowie die Kolleginnen und Praktikantinnen hinter dem lässigen Youngster her.
Man könnte die erste Hälfte von Kirill Serebrennikows
„Parsifal"-Inszenierung so zusammenfassen, aber man würde ihr damit nicht
gerecht. Denn diese Arbeit ist keine modische Thriller- und
Sozialkolportage, sondern eine tiefschürfende Auseinandersetzung mit den
Themen von Richard Wagners letzter Oper: Hoffnung, Vergebung, Verzweiflung,
Mitleid, Erlösung - und das alles unter mystischen Vorzeichen.
Der in
Russland angefeindete, verfolgte und mit Ausreiseverbot belegte
Serebrennikow meint, das Verständnis würde nur erschwert, wenn man
Gralsritter und Zauberer auf die Bühne brächte. Er hat stattdessen ein
Gefängnis zur zentralen Metapher der Aufführung gemacht. Einen traurigen,
gewissermaßen gottfernen Ort, dessen gequälte Gefangene nach Erlösung
darben. Für den Regiesseur das Symbol für die Zeit, die in unendlicher
Eintönigkeit hier gewissermaßen zum Raum wird. Gurnemanz, der alte
Geschichtenerzähler, tätowiert die in Selbstzweifel und -aufgabe gefangenen
Mithäftlinge: Diese Ritter tragen ihre Sehnsüchte und Storys auf der Haut:
einen Speer, ein Gefäß, eine Dornenkrone aus Stacheldraht. Das Zauberschloss
Klingsors - eine Redaktion - ist Sinnbild der Verführungen des Konsum und
der stylishen Leere des falschen Lebens, denen auch Parsifal fast erliegt.
Der Parsifal steht zweifach auf der Bühne. Der ältere (Jonas Kaufmann)
beobachtet den jungen Toren (Schauspieler Nikolay Sidorenko) bei seinem
Treiben in den ersten beiden Aufzügen, im dritten, nach langem Ringen, kehrt
er zurück ins Gefängnis: Gewachsen, zum Mitleid fähig, vollbringt er das
Wunder: In einem utopischen Moment gehen die Zellentüren auf und die
Häftlinge/Ritter treten ins Freie -sie haben die Hölle in sich überwunden.
Die entsündigte Kundry sinkt nicht entseelt zu Boden, sondern humpelt mit
Almfortas ins Licht. Parsifal bleibt zurück: War alles ein Traum? Oder war
sein Opfer eine Notwendigkeit?
Die Opernstars Tonas Kaufmann und
Elina Garanca werden im düsteren Ambiente von ihrem Basskollegen in den
Schatten gestellt. Georg Zeppenfeld vollbringt als Gurnemanz eine virtuose
rhetorisch-sängerische Leistung, und mischt seinem meisterlichen Porträt
noch mehr vokale Gestik, mehr Farbe und Ausdruck bei als früher. Ludovic
Tezier tariert den Amfortas zwischen wilder Klage und Stimmkultur aus und
brilliert in den Höhen. Wolfgang Koch legt den Klingsor als Alberichs Vetter
an: ein Opernbösewicht. Und die beiden Stars? Elina Garanca ist eine
ungewöhnliche, doch fabelhafte Kundry: kein inbrünstiges Leidensgeschöpf,
sondern eine moderne Frau. Das hat Farbe und Klasse, technische Brillanz und
doch fehlt das letzte Quäntchen an Emphase, zumal ihr am Ende des zweiten
Akts ein bisschen der Saft auszugehen scheint. Jonas Kaufmann hat seine
allerbesten Tage als Parsifal wohl schon hinter sich, aber liefert vor allem
im dritten Akt immer noch ab wie kaum ein anderer. Dirigent Philippe Jordan
deckt Kaufmann bisweilen zu, obwohl er eigentlich einen sehr behutsamen,
moderaten Umgang mit der Partitur pflegt. Jordan ist weder Klangsensualist
noch Modernist, aber ein profunder Anwalt dieser Musik, der die „schönen",
seelenvollen Passagen breit auswalzt. Das Staatsopernorchester darf dabei
seinen Weltrang zeigen. |
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