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Wiener Zeitung, 18.04.2021 |
Christoph Irrgeher |
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Wagner: Parsifal, Wiener Staatsoper, 18. April 2021
(Stream, Aufzeichnung vom 11. April 2021)
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"Parsifal" an der Staatsoper: Heilssuche im Häfen |
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Regisseur Kirill Serebrennikow opfert erzählerische Kohärenz für
starke Bilder. Sängerisch bleibt kaum ein Wunsch offen.
Es
gibt Momente, da liegt ein Buh-Orkan förmlich in der Luft. Da warten die
Zornesblitze im Saal nur noch auf den Schlussvorhang, um ihrer Energie
freien Lauf zu lassen. So ein Sturm wäre am 11. April wohl an der Staatsoper
losgebrochen, hätte das zahlende Publikum Einlass erhalten. Doch die
Covid-Maßnahmen hatten dafür gesorgt, dass nur einige Berufshörer der
Premiere des "Parsifal" beiwohnen durften; die Aufzeichnung ist erst nun,
seit 18. April, online in voller Länge zu besichtigen (siehe Kasten). Bis
dahin waren auch die Kritiker dazu angehalten, ihren Mitteilungsdrang zu
zähmen.
Kein Leichtes angesichts einer Regie, die kühn aus dem
Mainstream hervorragt und das Interesse schon darum bannt, weil sie von
Kirill Serebrennikow stammt, jenem Theater-Star, der im Zuge einer
umstrittenen Strafverfolgung in Russland Monate in Haft und Hausarrest
verbrachte.
Mit Duschraum-Totschlag Serebrennikow hat nun auch
Richard Wagners "Parsifal" in ein Zuchthaus verfrachtet. Wieso? Da schwingt
wohl persönliches Leid mit. Die Wahl lässt sich aber auch durch das
Grundszenario rechtfertigen: Wagners Ritterbund hofft auf Befreiung, seit
König Amfortas verletzt darniederliegt und sich weigert, das magische Amt
der Gralsenthüllung zu vollziehen. Diese Gesellschaft ist, sozusagen,
gefangen.
Eine griffige Metapher macht aber noch keinen Opernabend,
schon gar nicht, wenn sie sich an allen Ecken und Enden mit der Handlung
spießt. Das beginnt schon, wenn Gurnemanz’ "He! Ho!"-Weckruf anfangs ins
Sinnentleerte geht, weil die Knackis rundum längst Gewichte stemmen. Und es
zieht sich bis zu Parsifals Lob auf die schöne "Aue", gesungen im Betongrau.
Diese Bild-Text-Scheren klaffen wie Amfortas-Wunden.
Andererseits
müht sich Serebrennikow, die Schlüsselmomente des "Parsifal" in seine
Bilderwelt einzupassen. Anfangs etwa den Tabubruch des späteren
Heilsbringers: In Wagners Original verärgert der "reine Tor" die Ritter
durch seine Schwanenjagd im Gralsbezirk. Ins Gefängnismilieu verlegt, wehrt
sich Parsifal im Duschraum gegen einen Annäherungsversuch mit Totschlag -
heftig dargestellt auf drei Bildschirmen am oberen Bühnenrand.
Die
Kernfrage bleibt aber: Wer sind diese tätowierten Kerle? Häfenbrüder von
heute, oder irgendwie doch Ritter im Geiste? Es erschließt sich nicht auf
der Bühne, sondern nur im Programmheft. Dieses erzählt von Häftlingen, die
Kraft aus seltsamen Mythen schöpfen, von einem Neuling, der sich die
Hierarchie hochhangelt, und von einer Fotoreporterin namens Kundry mit
ungutem Chef. Der will Parsifal nach dessen Entlassung manipulieren und
stellt die Mitarbeiterin darauf ab. Doch die Szene endet, peng! peng!, übel
für den Geschäftsführer. Ein verworrener Plot - wohl auch dazu erfunden, um
die Logiklöcher auf dem Papier zu schließen.
Wirkmächtige Bilderflut
Nimmt man diesen "Parsifal" aber nicht als Erzählung beim Wort, sondern als
eine Bilderflut in sich auf, entfacht er enorme Wirkung. Vielleicht noch nie
hat die Staatsoper ein so filmisches, wuchtig körperliches und seelisch
berückendes Schauspiel erlebt. Wie sich Amfortas, gezeichnet von
Selbstverletzung, aufgrund einer anklagenden Vaterstimme im Ohr die Adern
öffnen will, steht exemplarisch für diesen starken Tobak. Poetisch die
Verdoppelung des Helden: Dem jungen Parsifal (Schauspieler Nikolay
Sidorenko) steht von Anfang an der gereifte Ritter des dritten Akts
gegenüber, in Gestalt von Jonas Kaufmann. Metallisch-markant im Klang, singt
er die ersten zwei Akte meist an der Rampe, bis sich die Figuren in einer
höheren Erkenntnis zu sehen beginnen. Schnee fällt in den Zellentrakt.
Musikalisch begeistert nicht nur der Tenor mit dem süffigen Timbre.
Georg Zeppenfeld verleiht dem Gurnemanz einen klaren, konturierten Bass;
Ludovic Tézier gießt den Selbsthass des Amfortas in siedende Töne; Wolfgang
Koch brilliert als hartherziger, höhnischer Klingsor. Und Elina Garanča als
Kundry? Mit ihren lodernden Kantilenen, purpurnen Lockrufen und gleißenden
Spitzentönen ein Quell mystischer Energie.
Chefdirigent Philippe
Jordan animiert den Chor zu einer kompakten Leistung und erzeugt mit dem
Staatsopernorchester einen fiebrigen, feinabgestuften, klangfarbenprallen
Drive: Hut ab. Wie das post-pandemische Publikum auf diesen Wagner reagiert,
bleibt freilich abzuwarten. |
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