|
|
|
|
|
Abendzeitung, 08. September 2020 |
Dr. Michael Bastian Weiß |
|
Schubert: Die schöne Müllerin, München, 6. September 2020
|
"Die schöne Müllerin": Voll überschäumender Fantasie |
|
Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch mit Franz Schuberts "Die schöne
Müllerin" im Nationaltheater. |
|
Im Frühjahr, als alle Konzertsäle coronabedingt geschlossen hatten, war
Jonas Kaufmann unter den Musikern, die aus der leeren Staatsoper in die
Weiten des Internets sendeten. Unvergessen ist der Moment, an dem es nach
seinem Geister-Liederabend förmlich aus ihm herausbrach, wie sehr er das
Publikum vermisse. Das wirkte schon damals authentisch und wird nun durch
diesen Abend rückwirkend noch einmal bestätigt. Denn wann hat der Tenor das
letzte Mal ein Werk mit so überschäumender Fantasie präsentiert wie diese
"Schöne Müllerin"? Kaufmann durchlebt den Liederzyklus von Franz Schubert
mit einer Lust, die man sonst nur von Debütanten kennt.
Gleich das
erste Lied "Das Wandern", wird zu einem interpretatorischen Kabinettstück.
Kaufmann singt die erste Strophe unbekümmert, gestaltet dann jedoch jede
weitere, dem Textsinn gemäß, völlig unterschiedlich: die zweite, in der vom
Wasser die Rede ist, weich fließend, die dritte mit den Rädern, die nicht
stillstehen wollen, deutlich gestoßen. In der vierten stellt er die Steine
nicht etwa schwer, sondern mit genauen Färbungen gleichsam als bunt dar, um
dann die letzte Strophe in einem leicht verklärten Tonfall zu intonieren.
Geradezu theaterhaft lässt er in "Am Feierabend" den Müllermeister mit
seiner feierlichen Ansprache wie eine körperlich greifbare Person erscheinen
oder artikuliert in "Der Neugierige" die Worte "Ja" und "Nein" so bildhaft,
dass man die Sprache nicht nur versteht, sondern deren Bedeutung unmittelbar
fühlen kann.
Genauso phänomenal ist, welche sängerischen
Möglichkeiten Kaufmann zur Verfügung stehen. Hat die Zwangspause der Stimme
gut getan? Abgesehen von ein paar kleinen Räuspern zu Beginn wirkt das Organ
wie frisch erholt, wenn der Tenor Spitzentöne mühelos, dazu wunderbar leise,
in die Linie einbindet, nur in wenigen, gut gesetzten Höhepunkten seine
Kräfte spielen lässt und ansonsten weite Strecken in einem geschmeidigen
Parlando singt.
Von der Klavierbegleitung könnte man sich zwar
bisweilen ein wenig mehr an Eigenständigkeit wünschen, kernige Akzente,
rhythmische Widerstände. Doch es hat schon auch etwas für sich, wie
hypersensibel, ja, verträumt Helmut Deutsch dem Sänger folgt, wie nahtlos
das tenorale und das pianistische Flüstern miteinander verschmelzen und der
Gesamtklang als Ganzes still zu leuchten beginnt.
Der Erfolg gibt dem
höchst inspirierten Lied-Duo recht: Im reduziert besetzten Publikum brandet
Applaus auf, als ob die Staatsoper bis zum letzten Platz ausgelastet wäre.
Die drei Zugaben, "Der Jüngling an der Quelle" D 300, "Der Musensohn" D 764
und "Wandrers Nachtlied" D 768, sind also wohlverdient. Man soll so etwas ja
nicht leichtfertig sagen, aber das war eine Sternstunde.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|