Online Merker, 02.12.2020
Susanne Kittel-May
 
Puccini: La Bohème, Bayerische Staatsoper, 27.11.2020 (im Internet-Stream ab 30.11.2020)
LA BOHÈME – Stream – Zum Weinen schön!
 
Zum Weinen schön war die Bohème vom Montagabend. Herzzerreißend die „Mimì“- Rufe von Rodolfo, als er erkennen muss, dass seine Liebste tot ist. Jonas Kaufmann kommt dabei ganz ohne die bei manch anderem Tenor üblichen Schluchzer aus, legt die ganze Emotion in die Stimme.
Überhaupt ist er in den letzten Monaten so glänzend bei Stimme, wie lange zuvor nicht mehr. Ich habe ihn in der kurzen Pandemie-Sommerpause zweimal live gehört, bei einem Liederabend in München und als Don Carlos in Wien, und war beide Male begeistert. Jetzt noch diese Bohème in München, leider nur als Stream, aber besser als nichts. Drei Aufführungen mit Kaufmann vor jeweils 500 Zuschauern waren geplant, nun wurde daraus eine Aufführung vor leerem Haus, letzten Freitag gespielt und aufgezeichnet, gestern in der Reihe „Montagsstücke“ gestreamt. Für Kaufmann war es sein Hausdebut als Rodolfo, er dürfte damit der einzige Tenor sein, der in derselben Spielzeit als Rodolfo und als Tristan debütiert. (Falls die Opernfestspiele mit der Tristan-Neuinszenierung im Juli 2021 stattfinden können.)

Mit Rachel Willis-Sørensen hat er eine Mimì an seiner Seite, deren dunkle, cremige Stimme ganz wunderbar zu seinem Tenor passte. Ihre Stimme scheint auf dem Weg ins dramatische Fach zu sein, satt und dunkel in der Tiefe, kräftige Mittellage und schön aufblühende Höhen. Aber sie kann uns auch mit wunderbar zarten Piani verwöhnen, was ja auch Kaufmanns Markenzeichen ist. Das Ende von „O soave fanciulla“: ein Traum! Wie Kaufmann besitzt auch Willis-Sørensen enorme Bühnenpräsenz und ein sehr natürliches Spiel – das wird besonders in den vielen Nahaufnahmen deutlich.

Ebenso darstellerisch wie auch gesanglich hervorragend der Rest des Freundesquartetts: Andrej Zhilikhovsky als Marcello ließ seinen schönen, warmen Bariton strömen, das ehemalige Ensemblemitglied Tareq Nazmi als Colline seinen warmen Bass. Ensemblemitglied Sean Michael Plump als Schaunard hat leider nicht allzuviel zu singen. Mirjam Mesak, mit Beginn der aktuellen Spielzeit von Opernstudio ins Ensemble gewechselt, überzeugt als Musetta mit angenehmem Timbre und beweglicher Stimme.

Dass kein Publikum anwesend ist, ermöglicht ganz andere filmtechnische Mittel, und vor allem eine viel bessere Ausleuchtung der Szene, als das einfache Mitschneiden einer Bühnenaufführung. Leider wird auf der Besetzungsliste nicht erwähnt, wer für die Abendspielleitung zuständig ist. Sie oder er hat dieser leicht angestaubten Inszenierung von Otto Schenk (Premiere war 1968) neues Leben eingehaucht. Ein Opfer der Pandemie-Regeln wurde allerdings der 2. Akt: Kein lustiges Treiben im Quartier Latin, kein Tambourmajor, keine Kinder auf der Bühne. Nun gut, der eine Junge, der noch eine Trompete und ein Pferd will, darf diesen Wunsch tatsächlich auf der Bühne äußern. Ansonsten sind die Sänger allein mit dem maskentragenden Kellner im Café Momus, der Chor singt von der Hinterbühne. Da kommt zwar keine Stimmung auf, aber man kann sich besser auf das kleine Drama zwischen Musetta und Marcello konzentrieren. Umso stimmungsvoller der 3. Akt: im Schneetreiben nehmen Rodolfo und Mimì Abschied. Und der 4. Akt, wie gesagt: zum Heulen schön.

Dirigent dieses außergewöhnlichen Abends ist Asher Fisch, der seine Sache, soweit man das in der Aufzeichnung beurteilen kann, sehr gut macht.






 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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