Klassik Info
Von Robert Jungwirth
 
Korngold: Die tote Stadt, Bayerische Staatsoper, ab 18. November 2019
Mit Sex gegen die Psychose
 
Die tote Stadt von Erich Wolfgang Korngold wird mit Kirill Petrenko, Marlis Petersen und Jonas Kaufmann in München zu einem bewegenden Ereignis
 
(München, 22. November 2019) Das ist wirklich praktisch. Das Kostüm, das Jonas Kaufmann im „Otello“ trägt, kann er auch in Korngolds „Die tote Stadt“ anziehen: mausgraue Hose mit Hosenträgern, weißes Hemd, graues Jackett. Ist das die neue Nachhaltigkeit an der Bayerischen Staatsoper? Oder kostümbildnerische Einfallslosigkeit? Kaufmann geht als Otello in diesem Outfit von der Bühne und kommt als Paul wieder. Oder will uns das gar etwas bedeuten?

So wie Otello ist auch Paul ein Getriebener. Doch nicht rasende Eifersucht ist es, die ihn peinigt, sondern der Schmerz über den Verlust seiner Frau. Er kann Marie nicht vergessen und will es auch nicht. In seiner Wohnung hat er ihr einen eigenen Raum zum Andenken gewidmet, mit hunderten von Fotos und Erinnerungsstücken und einem Altar. Paul versucht sein Leben so weiterzuführen als wäre Marie noch am Leben – bis Marietta auftaucht. Sie sieht Marie ähnlich (auch der Name ist ähnlich), und Paul beginnt sich in sie zu verlieben, das heißt in ihren Körper. Paul wirft sich in diese Beziehung hinein wie ein Ertrinkender. Als Marietta Paul mit den Erinnerungstücken seiner Frau provoziert, rastet er aus. Er glaubt, sie umgebracht zu haben. Doch in der nächsten Szene radelt Marietta quietschlebendig davon so wie sie zu Beginn der Oper gekommen war. Tatsächlich gab es nur eine flüchtige Begegnung zwischen den beiden – die Affäre hat Paul halluziniert. „Halluzinatorische Wunschpsychose“ nennt das Freud.

Korngold hat aus dieser Geschichte, deren Text er zusammen mit seinem Vater, dem berühmten Wiener Musikpublizisten Julius Korngold, geschrieben hat, 1920 eine dreiaktige Oper gestaltet. Ein von Freud und der Psychoanalyse inspiriertes Psychodrama in drei Akten, das von Liebe, Tod, Verlustschmerz, sexuellem Begehren und vom unerschöpflichen Lebensdrang des Menschen handelt und das erstaunlich modern und zeitlos wirkt. Auch die Musik hat etwas Zeitloses in ihrer genialischen Vermischung von Puccini, Strauss, dem frühen Schönberg und musicalhaften, ja filmmusikhaften Elementen – die freilich erst später „erfunden“ werden sollten.

Mehr als Franz Schreker mit seinen verschroben-obsessiven Musiktheaterkonzeptionen über Lust und Erotik, ist Korngold mit seiner „Toten Stadt“ ein rundum überzeugendes und tief berührendes Musiktheater gelungen, das zu Beginn der 20er Jahre große Erfolge feierte, bis die Nazis die Karriere Korngolds abwürgten. Korngold emigrierte in die USA und wurde einer der besten Filmkomponisten seiner Zeit (mit zwei Oscars ausgezeichnet).

Die Münchner Neuproduktion dieser Oper mit Kirill Petrenko am Pult, Marlis Petersen als Maire/Marietta und Jonas Kaufmann als Paul ist vom ersten Ton bis zum letzten faszinierend, mitreißend – perfekt. Petrenko lässt Korngolds vielfarbige und kernig akzentreiche Musik leuchten und strahlen, zucken und bedrohlich grummeln, dass es eine einzige Freude ist. Das klingt alles so unangestrengt und dennoch in jedem Detail stimmig wie man es sich nur wünschen kann. Und das Staatsorchester präsentiert sich in Bestform unter seinem ungemein gelöst wirkenden Noch-Chef.

Die beiden Protagonisten sind gesanglich überragend. Marlies Petersen singt eine kokette und enorm verführerische Schwester der Salome mit quirligem, dabei immer klangschönem, schlankem Sopran. Und Jonas Kaufmann strahlt nicht minder in dieser höhenreichen, überaus schwierigen Partie mit kräftigem Tenorglanz (was schreibt Korngold hier nicht für fantastische Puccini-hafte Kantilenen!). Und das Ganze dann auch noch bei großem körperlichen Einsatz, denn so eine amour fou will ja auch glaubhaft dargestellt sein.

Simon Stone setzt in seiner Regie auf Realismus und Natürlichkeit, was die beiden Protagonisten auch wunderbar über die Rampe bringen. Die Bühne von Ralph Myers stellt ein verschachteltes Wohnhaus dar. Mal sind die Räume neben, mal übereinander geschichtet. Er versucht die psychische Verrücktheit oder Entrücktheit Pauls optisch umzusetzen, indem Bühnenelemente ver-rückt werden. Das ist anschaulich und einleuchtend, sieht aber auch ein wenig nach Stadttheater aus (die Produktion ist so bereits in Basel zu sehen gewesen, aber natürlich mit anderen Sängern). Egal, die Bühne ergänzt Sänger und Musik sinnfällig und das ist ja durchaus nicht immer so an der Bayerischen Staatsoper in München.
Ein großer Abend!



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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