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Nürnberger Nachrichten, 20.11.2019 |
VON JENS VOSKAMP |
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Korngold: Die tote Stadt, Bayerische Staatsoper, ab 18. November 2019
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Das ewig Weibliche zieht ihn an |
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München zeigt Korngolds Oper DIE TOTE STADT mit der Traumpaarung
Marlis Petersen und Jonas Kaufmann. |
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MÜNCHEN. Bekanntlich liegen das Bayerische Staatsschauspiel und die
Staatsoper Wand an Wand. Sowas schafft Konkurrenzen. Was den begehrten
Regisseur Simon Stone anlangt, konnte Opernchef Klaus Bachler nun einen
Punktsieg vor Schauspiel-Boss Andreas Beck landen.
Der
Schweiz-Australier hatte das Residenztheater nämlich im Sommer in die
Bredouille gebracht, weil er dort die Eröffnungs-Uraufführung zu dieser
Spielzeit einigermaßen kurzfristig absagte und auch dem Wiener Burgtheater
für eine weitere bereits zugesagte Inszenierung einen Korb gab. Stattdessen
verfilmt er derzeit für Netflix lieber das Historienepos „The Dig" nach dem
Roman von John Preston mit Ralph Fiennes und Carey Mulligan.
Die Oper
hatte es aber auch leichter, denn sie übernahm eine drei Jahre alte
Produktion aus Basel, die Stones Assistentin Maria-Magdalena Kwaschik auf
die Münchner Sensationspaarung Marlis Petersen und Jonas Kaufmann passförmig
zuschneiderte. Zeit wurde es: Zuletzt war Erich Wolfgang Korngolds
erstaunlicher Opernerstling „Die tote Stadt" 1955 an der Isar zu sehen.
In ihr kulminiert so ziemlich alles, was das Fin de Siede, die Belle
Epoche und den beginnenden Expressionismus ausmacht: Der 22-jährige
Komponist, der leider auch selbst das Textbuch verfasste, schuf ein
symbolistisches Psychodrama, in dem jede Menge Sigmund Freud, aber eben auch
viel Wagner, Verdi und Mahler stecken. Und über weite Strecken gibt sich die
Partitur von 1920, wie für ein junges Medium geschaffen, das Korngold als
Soundlieferant später so weltberühmt machen sollte, nämlich wie süffige
Filmmusik.
Und selbst Klangmagier Kirill Petrenko musste einsehen,
dass er hier mit seinem technischen Perfektionismus nicht allein ans Ziel
kommen konnte und die Musik an der einen oder anderen Stelle auch einfach
mal „dreckig" und ungenau klingen muss. Münchens scheidender GMD erweckt mit
dem Staatsorchester den ganzen spätromantischen. Schwulst und Furor, aber
auch den erotischen Sog von Korngolds opulentem Klangrausch.
„Glück,
das mir verblieb" In dem finden sich immerhin zwei der hinreißendsten
Arien, die das 20. Jahrhundert hervorbrachte: Mariettas Lied „Glück, das mir
verblieb", das sich im Verlauf zum Duett weitet, und der melancholische
Gesang des Pierrot „Mein Sehnen, mein Wähnen". Die Sänger können sich unter
Petrenko absolut in Sicherheit wiegen und wie in Abrahams Schoß fühlen. Das
müssen sie auch, denn sowohl an die weibliche als auch an die männliche
Hauptpartie sind oft unsingbare Anforderungen gestellt.
Die „tote
Stadt" — das bedeutet exzessive Trauerarbeit. Paul kommt über den Tod seiner
Marie nicht hinweg, errichtet ihr eine bizarre „Kirche der Gewesenen", in
der er hunderte Bilder seiner Geliebten und alle Gegenstände, die je mit ihr
in Berührung kamen, reliquienmässig aufbewahrt. Da tritt die
temperamentvolle Tänzerin Marietta in sein Leben, die wie eine Kopie seiner
verstorbenen Frau wirkt. Obsessiv versucht, Paul aus Marietta eine Marie zu
formen.
Das alles verpflanzt Bühnenbilder Ralph Myers mit eminentem
technischen Aufwand in die kalte Eleganz einer Designerwohnung der 60er oder
70er Jahre. Auf der Drehbühne ist immer etwas los, Perspektiven verwandeln
sich wie sich die Akteure vervielfachen. Damit entlarvt Regisseur Simon
Stones die Jagd auf Marietta, als das, was sie sich am Ende auch entpuppt:
Als Traumbild.
Die umständliche Theaterproben-Szene verwandelt er in
eine denn doch glaubwürdigere Party, die sich zu einer wilden Orgie
entwickelt. Türen, die eben noch da waren, entpuppen sich als Wände. Wer
diese detailverliebte Inszenierung mitdenkt, kann in Metaphern baden.
Wenn ihn nicht die schauspielerische Intensität der Darsteller total
gefangennimmt. Marlis Petersen, die auf derselben Bühne schon Extremfrauen
wie Lulu und Salome verkörperte, ist auch als über 50-Jährige eine absolut
glaubhafte quirlig-überdrehte junge Tänzerin. Sie spielt permanent mit ihren
Gefühlen und denen anderer und bewahrt sich doch eine leichtfüßige wie
sensible Ernst-und Tiefgründigkeit. Ihr Sopran ist immer noch voller Frische
und Energie. Entsprechend raste das Publikum und feierte die Sängerin.
Jonas Kaufmann, der hier ein apartes Psychogramm eines vereinsamten
Mannes zeigt, kann die Anstrengungen der fordernden Partie nicht verbergen.
Aber genau das hilft der treffsicheren Rollencharakterisierung. Paul ist ein
Zerrissener, weit entfernt von einem Strahlemann, einer, der wieder in die
Wirklichkeit finden muss. Und so geht Kaufmann volles Risiko, weil er in
Petersen so ein weibliches Elementarereignis als kongeniale Bühnenpartnerin
hat. Was die beiden leisten, ist ganz, ganz große Oper in einem alles andere
als vordergründigen Sinn.
Da alle Anschluss-Aufführungen restlos
ausverkauft sind, darf man sich erst zu den Opernfestspielen im nächsten
Sommer berechtigte Hoffnungen auf Karten machen.
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