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Concerti, 19. November 2019 |
Von Roland H. Dippel |
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Korngold: Die tote Stadt, Bayerische Staatsoper, ab 18. November 2019
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Tod, Ekstase, Sumpf |
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Die Korngold-Debütanten Marlis Petersen, Jonas Kaufmann und Kirill Petrenko
bescheren der Bayerischen Staatsoper einen Applaus-Marathon, nur die Regie
bleibt flach.
Fast eine neue Repertoire-Säule: Erst seit einigen
Jahren behauptet sich „Die tote Stadt“ als eines der stärksten Stücke aus
der Zeit um 1920 und ernsthafte Spielplan-Konkurrenz gegen Richard Strauss.
Fast hundert Jahre nach der Erstaufführung 1922, über fünfzig Jahre nach der
letzten Inszenierung 1955 dort gibt es an der Bayerischen Staatsoper München
endlich wieder dieses Musikdrama, das der 22-jährige Erich Wolfgang Korngold
mit hinreißend postpubertärer Kreativität zum Exzess von Melancholie und
Hysterie hochkochte. Ein Geschlechterkampf, der nur deshalb nicht zum
Alptraum werden kann, weil er ein gleißend-selbstheilender Tagtraum ist.
Für Marlis Petersen und Jonas Kaufmann, die beiden Rollendebütanten als
Marietta und Paul, bedeutete das im Nationaltheater München
sportiv-hochdramatische Anforderungen, für Kirill Petrenko eine weitere
analytisch-klangsinnliche Expertise und für das Publikum die schon im
Vorfeld lüstern ersehnten Begeisterungsstürme.
Scharfe
Männerphantasie
Hausnummer 37: Diesmal verzichtet Simon Stone auf
Video und hält seinen Regional-Spleen, mit dem er die Sujets der von ihm
inszenierten Stücke gerne an den Aufführungsort verlegt, auf Sparflamme.
Anders als die von Stone für die Salzburger Festspiele ins Salzkammergut
gewuchtete „Médée“ Cherubinis passt Ralph Myers‘ City-Haus mit Flachdach und
steriler Fassade nach Basel, wo die Produktion im September 2016 herauskam,
und auch an den Remake-Ort München.
Bei Simon Stone ist demzufolge
nicht nur die weibliche Protagonistin Marietta/Marie bipolar, sondern auch
das Interieur: Erst eine von Tüchern befreite Wohnlandschaft und „Kirche des
Gewesenen“ als kühle Bleibe, dann Schauplatz erwartbarer Party-Verwüstungen,
schließlich ein Tummelplatz für kriegerische Balz- und Rammelmanöver. Das
Verflixte daran: Korngold verpackte den von seiner toten Frau nicht
loskommenden Paul und dessen alptraumhaft-kathartische Begegnung mit der
Tänzerin Marietta in einen Traum, der die Misogynie der Wiener Moderne
feiert. Für den bei der Komposition knapp volljährigen Erich Wolfgang
Korngold war es sicher auch eine scharfe Jungmänner-Phantasie, die er nach
Georges Rodenbachs dekadentem Krimi-Bestseller „Bruges-la-morte“ und im
Textbuch seines Vaters Julius Korngold (unter Pseudonym) entwarf.
Superpower
Die Tänzerin Marietta glüht vor fast nymphomaner
Sinnlichkeit. Lasziv haucht sie den lyrischen Hit vom „Glück, das mir
verblieb“ ins mit den Lippen verschlungene Mikro. Eine Granate ist sie im
Kollegenkreis und für scharfe Sponsoren (Dean Power). So nebenbei feiert
Stone auch noch das Münchner Party-Gefühl: Man hat Flaschenhälsen, glimmende
Zigaretten, Salzstangen in Greifnähe, und die Tabledance-Stange (Kostenpunkt
199,95 €) gehört in der Einbauküche zur Grundausstattung.
Korngolds
Klangrausch der in den beiden Münchener Produktionen 1922 und 1955 nicht
sonderlich gut weggekommenen Oper passt dazu und wird von Kirill Petrenko
mit dem in gewohnter Luxusklasse agierenden Bayerischen Staatsorchester eine
Nuance anders serviert als gewohnt. Auf alle Fälle bietet die Produktion ein
heute seltenes Privileg: Marlis Petersen darf ganz ohne Empörungsrufe der
Schwarm-Intelligenzen bezwingendes Luder und (missbrauchtes) Vollweib sein.
Mel Page ziert sie mit Holland-Fahrrad und rosa Flokati-Mantel, der Look
leicht schäbig und minimal angeschlampt. Voll korrekt: Denn erstens handelt
es sich über weite Strecken der Oper um einen Traum, bleibt damit „nur“ eine
Sex- und Gewalt-Phantasie des Protagonisten Paul. Zweitens sitzt bei Jonas
Kaufmann noch im härtesten Paarungsclinch die Krawatte, mit der er sogar ins
Bett geht, perfekt. Und drittens ist das alles zur selbstreferentiellen
Läuterung mit Plakaten von Antonionis „Blow Up“ und Godards „Pierrot le fou“
an den Wänden veredelt.
Pauls Fetischismus
Etwas mehr
Tiefenschärfung für die mindestens drei dramatischen und musikalischen
Ebenen hätte man sich von Simon Stone allerdings gewünscht: Die tote Marie,
deren Echthaar-Perücke Paul in einer picobello-reinen Abstellkammer huldigt,
ist offenbar an schwerer Krankheit verstorben. Pauls Fetischismus, mit dem
er die seiner toten Frau aberwitzig ähnelnde Marietta in deren Rolle drängt,
ist also der angestrengte Versuch, das Verlöschen der drastisch abgemagerten
und kahlköpfigen Toten zu verdrängen. Dieser Schluss des ersten Aktes ist
der emotionale Höhepunkt des Abends. Man wird es nach der Pause erleben: Nur
Anmache ist öde.
Phänomenal trotzdem die Verwandlungskraft von Marlis
Petersen zwischen Lust und Tod. Das degradiert sogar die Paul, Marie und
Marietta in der Prozession des dritten Bildes vervielfachenden Chor- und
Kindermassen zur sinnfreier Verlegenheitsstatisterie. Wenn die gierige
Hetzjagd Pauls und Mariettas am weiß gekachelten Bad vorbeiführt, belässt es
Stone beim Kokettieren mit Hitchcocks „Psycho“.
Höhentorpedos und
Deklamationsorgien
Diesmal verfährt Kirill Petrenko anders als in
„Die Frau ohne Schatten“, die er dringlichst mit seiner Berliner Artist in
Residence Marlis Petersen in der Titelpartie wiederholen sollte. Für einige
Korngold-Kenner hinterlässt der Premierenabend eine kleine Enttäuschung,
weil Kirill Petrenko den schon bei der Kölner und Hamburger
Doppel-Uraufführung 1920 kritisierten Eklektizismus und das Collagehafte
nicht üppig verblendet, sondern ebenso penibel wie exzessiv ausführt. Das
offenbart einige (von Korngold vorsätzlich generierte?) Löcher im Tonsatz
und die von Dirigenten sonst gern verschleierte Dominanz von Klavier,
Harmonium, Celesta im Orchester. Andrzej Filonczyk als Frank und das
Pierrotlied etwas nüchtern angehender München-Debütant bleibt leicht blass
wie auch Jennifer Johnston, die als Brigitta ihre Gelegenheit zur packenden
Charakterstudie verstreichen lassen muss. Beim Komödianten-Terzett befinden
sich Outfit und vokale Schneidigkeit in optimaler Kongruenz. Petrenko
geleitet die Sänger der extrem schweren Hauptpartien souverän durch ihre
imponierend gemeisterten Rollendebüts.
Jonas Kaufmann schont sich
nicht
Jonas Kaufmann lässt sich auf Münchens Dirigenten-Darling
Petrenko voll ein und zeigt also auch die Tücken des mit Höhentorpedos und
Deklamationsorgien gespickten Parts. Kaufmann schont sich nicht, singt
wirklich jeden Ton und stürzt sich wie ein aufjaulender Jaguar auf seine
Partnerin. Diese Intensität bewältigt er mit vier verschiedenen Stimmen und
noch baritonaler als sonst. Am meisten blüht er in den Aggressionsattacken
gegen Marietta auf, die er weniger mit Forte-Glamour als mit schmerzlich
brünstigem und schönem Mezzoforte nimmt. In ebenbürtig frenetischem Brodeln
zeigen Kaufmann und Petersen ohne Absturzgefährdung die Bedingtheit von
Ekstase und Beziehungsmorast. Damit erheben sie sich weit über die
szenischen Flachheiten. Marlis Petersen, die als Gestalterin durch ihre
Lied-Anthologie „Dimensionen“ noch weiter gewachsen ist, landet im neuen
Fach imponierend. Aus jedem Ton Mariettas leuchtet bei ihr genau jenes
„Mondessilber“ und „Sonnengold“, von dem sie singt und mit dem sie Paul in
den sinnlichen Wahnsinn treibt. Applaus-Marathon für alle Beteiligten.
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