Korngold: Die tote Stadt, Bayerische Staatsoper, ab 18. November 2019
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Keine Rücksicht auf Tenöre: "Die tote Stadt" mit Jonas Kaufmann |
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Mehr Star-Power geht nicht: Tenor Jonas Kaufmann, Sopranistin Marlis
Petersen und Dirigent Kirill Petrenko sorgten für Weltklasse-Glamour in der
Bayerischen Staatsoper. Die sehr plakative Inszenierung kam aus Basel, der
Jubel des Publikums war groß.
Junge Leute nehmen ja auf wenig
Rücksicht, nicht mal auf Tenöre. Der 23-jährige Erich Wolfgang Korngold
machte da keine Ausnahme. Als "Wunderkind" landete der gebürtige Brünner im
Dezember 1920 mit der "Toten Stadt" seinen ersten großen Opern-Erfolg, und
da sparte er in seinem wilden, nachpubertären Überschwang wirklich an
nichts: Glocken, Orgel und Windmaschine haben ihre Einsätze, die Blechbläser
haben reichlich zu tun - Korngold setzte auf ganz großes Kino, steigerte
sich in einen wahren Klangrausch hinein.
Flirrender Farbenreichtum
Diese Leidenschaft brachte ihm übrigens ein paar Jahre später zwei Oscars
ein, für den Abenteuerfilm "Ein rastloses Leben" und für "Robin Hood, den
König der Vagabunden". Für einen Tenor freilich ist Korngolds "Tote Stadt"
eine sprichwörtlich mörderische Herausforderung, zumal wenn ein Dirigent im
Graben steht, der eine ausgelassene Freude hat am flirrenden Farbenreichtum
und an der Opulenz dieser Cinemascope-Partitur.
Da müssen sich also
schon zwei finden, die dieses Wagnis eingehen wollen, und das war an der
Bayerischen Staatsoper in München erfreulicherweise der Fall. Star-Tenor
Jonas Kaufmann hatte sich die Hauptrolle des Paul in den Kopf gesetzt, und
Dirigent Kirill Petrenko machte gerne mit. Ebenso gern hätte Intendant
Nikolaus Bachler den beiden zum Saisonauftakt wohl eine Neuproduktion
gegönnt, aber der ursprünglich ins Auge gefasste Regisseur sprang wohl aus
irgendwelchen Gründen ab, so dass kurzerhand die Inszenierung aus Basel
übernommen wurde.
Simon Stone ist viel beschäftigt Klar, für ein
so großes Haus wie die Bayerische Staatsoper ist das misslich, zumal
Regisseur Simon Stone nicht die Zeit hatte, seine drei Jahre alte Arbeit
noch mal gründlich zu überarbeiten, am Detail zu feilen, wie es manche
Berufskollegen durchaus machen. Stattdessen überließ der viel beschäftigte
Schauspieler, Filmemacher und Drehbuchautor, der kürzlich auch eine geplante
Neuinszenierung im Münchner Residenztheater absagen musste, die
Wiedereinstudierung seiner "Toten Stadt" der Assistentin Maria-Magdalena
Kwaschik, die auch dafür sorgte, dass die Sänger in dem anspruchsvollen
Bühnenbild von Ralph Myers nicht den Überblick verloren.
Der hatte
nämlich einen Allerwelts-Bungalow entworfen, Hausnummer 37, mit Küche, Bad,
Wohn- und Schlafzimmer, die allesamt auch schon mal eigene Wege gehen, also
auseinander fallen, sich neu zusammensetzen, denn die Räume, die stehen hier
für die Albträume und die traumatischen Erinnerungen von Paul, der seine
Frau durch eine Krebserkrankung verloren hat.
Inszenierung wenig
symbolistisch Brügge, wo er zuhause ist, wurde dadurch für ihn zur
titelgebenden "Toten Stadt", sein Haus zu einer "Kirche des Gewesenen". Über
drei Stunden mit zwei Pausen wird gezeigt, wie Paul seinen Traum und Trauma
als Witwer hinter sich lässt - oder auch nicht, so genau wird das am Ende
nicht deutlich. Er verschwindet vielmehr mit einer Bierflasche in der Hand.
Die Inszenierung ist ansonsten wenig verrätselt, fast zu plakativ und
eingängig, denn Korngolds Oper ist eigentlich sehr viel symbolistischer
angelegt, sehr viel abgründiger und vor allem politischer, stammt die
Textvorlage doch aus der Epoche der Décadence, der Weltuntergangs- und
-verachtungsliteratur am Ende des 19. Jahrhunderts. Korngold schrieb seine
Oper immerhin zwei Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, als Millionen Tote zu
beklagen waren und die Trauer um Gefallene, um Verhungerte oder von der
Grippe Weggeraffte keineswegs nur einzelne Menschen betraf, sondern ganze
Nationen - mit den dramatischen psychologischen Folgen.
Brügge ist
also mit seinem Nebel, seinen dunklen Kanälen und seinen gotischen Kirchen
nicht nur eine "Tote Stadt", sondern auch eine "Toteninsel" im umfassenderen
Sinn, der Hades als solcher, der wie ein Schatten auf dem Diesseits liegt,
was allerdings in der Münchner Inszenierung optisch völlig ausgeblendet
wird. Entsprechend weltlich kommt auch die große Oster-Prozession daher, die
Korngold effektvoll hineinkomponiert, und auch sein süffiges Zitat der Oper
"Robert, der Teufel" mit einem dort tatsächlich vorkommenden bizarren
Ballett der auferstandenen, sündigen Nonnen, wurde hier zwischen
Kissenschlacht und Swinger-Party nicht sonderlich überzeugend umgesetzt.
Geschmeidig, raumfüllend, Weltklasseformat Gleichwohl, es war
natürlich musikalisch ein Ausnahme-Abend, wegen Tenor Jonas Kaufmann, aber
auch wegen seiner Partnerin, der Sopranistin Marlis Petersen. Kaufmann
schien von Anfang an beweisen zu wollen, dass diese Partie keiner so singen
kann wie er - so dunkel getönt, so geschmeidig, so melancholisch, so
raumfüllend, im solchen Weltklasseformat. Unglaublich, wie er die Rolle
durch stand, trotz zwei, drei minimaler "Unebenheiten" in der Stimme, die
wohl seinem Übereifer geschuldet waren. Schauspielerisch allerdings war
Marlis Petersen noch deutlich eifriger bei der Sache, und stimmlich ganz in
ihrem Fach, konnte sie doch als Tänzerin Marietta eine Art Lulu geben, ihre
langjährige Paraderolle.
Dirigent Kirill Petrenko ist ein
Kontrollfreak, so genau, wie er probt und auch noch bei der Premiere alles
steuert, ja die Partitur regelrecht buchstabiert. Der Mann schafft es, mit
der Handfläche die eine Instrumentengruppe zu lenken und mit den einzelnen
Fingern eine andere, schaut intensiv in die Noten und ist trotzdem bei den
Sängern auf der Bühne. Laufen lassen kann er nichts, auch nichts dem Zufall,
dem Gefühl überlassen, alles ist genau kalkuliert, was zu einem
staunenswerten Gesamt-Ergebnis führte und Schwerstarbeit sein muss. Großer
Jubel für eine szenisch "gebrauchte", aber musikalisch doch unerhört
neuwertige "Tote Stadt". Schade: Alle Vorstellungen in dieser Spielzeit sind
ausverkauft.
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