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Online Merker, 29.01.2019 |
Martina Bogner |
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Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, ab 24.1.2019
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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: FIDELIO
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Im Zentrum der „Fidelio“-Inszenierung des Regisseurs Calixto Bieito aus dem
Jahr 2010 steht das Gefangensein des Menschen in seinen Gedanken und
Gefühlen. Als Symbol für das Leben der auf diese Weise gefangenen Menschen
dient ein riesiges gläsernes Labyrinth, welches die Bühne (Rebecca Ringst)
auf der gesamten Breite und Höhe ausfüllt. In diesem Labyrinth irren die
Protagonisten der Oper ebenso wie zahllose Statisten hin und her auf der
Suche nachdem Weg nach draußen bzw. zu ihrem persönlichen Ziel. Obwohl sie
ihre Mitmenschen durch die gläsernen Trennscheiben des Labyrinths sehen
können, kommen sie mit diesen nur selten in Kontakt, da jeder– als bildhafte
Entsprechung zu dem beschriebenen Gefangensein in den eigenen Gedanken und
Gefühlen – nur mit seiner eigenen Position im Labyrinth und der Suche nach
dem richtigen Weg beschäftigt scheint.
Um diese rein psychologische
Sichtweise auf das Stück zu unterstreichen, wurden in dieser Produktion die
Original-Sprechtexte des Librettos gestrichen und zum Teil durch Texte von
Jorge Luis Borges über das Labyrinth als Symbol für das Leben des Menschen
sowie durch Texte von Cormac McCarthy ersetzt.
Leider ist es in
dieser Produktion jedoch nicht gelungen, diese – durchaus interessante und
bedenkenswerte – Sichtweise des Regisseurs bis zum Ende durchgängig
schlüssig, plausibel und nachvollziehbarbei zu behalten, was möglicherweise
einfach daran liegen könnte, dass hierbei wesentliche Themen, die in dieser
Oper enthalten sind, ignoriert oder gar – in einer letztlich mit dem Werk
nicht zu vereinbarenden Art und Weise – negiert werden. Florestan befindet
sich – wie letztlich alle – in einem „intrapsychischen Gefängnis“. Erleidet
unter der Zwangsstörung, sich ständig die Haare kämmen zu müssen, und zeigt
auch darüber hinaus diverse weitere Symptome einer psychischen Erkrankung.
In der Sichtweise Bieitos ist es daher noch konsequent, dass die – dem
Libretto entsprechende – Befreiung durch Leonore letztlich nicht zur
Befreiung Florestans aus diesem „intrapsychischen Gefängnis“ führt. Calixto
Bieito macht aus dem „goodguy“ Don Fernando einen – in seinem Äußeren dem
Joker aus dem Batman-Film The Dark Knight (2008) nachempfundenen– „badguy“,
der kurzerhand Florestan erschießt, was von Leonore –dem Wortlaut nach
durchaus passend – mit „O Gott! Welch ein Augenblick!“ kommentiert wird. Die
– freilich gleichermaßen dem ursprünglichen Sinn zuwiderlaufende –
Erwiderung Florestans „O unaussprechlich süßes Glück!“legt – durchaus
schlüssig – nahe, dass letztlich nur der Tod zu seiner Befreiung aus dem
„intrapsychischen Gefängnis“ führt. Da allerdings die Oper danach
bekanntermaßen noch mit Jubelgesängen weitergeht, erhebt sich der soeben tot
umgefallene Florestan plötzlich wieder und stimmt nun fröhlich und scheinbar
ganz lebendig mit Leonore und dem Chor in Jubelgesänge ein. Isoliert
betrachtet lässt sich dies einigermaßen schlüssig nur damit erklären, dass
es sich um Florestans Imaginationen im Jenseits handelt. Als einziger auf
der Bühne erhält er schließlich vom Joker Don Fernando ein Schild mit der
Aufschrift „frei“ umgehängt. Da er als einziger kurz zuvor gestorben ist,
spricht auch dies für die Theorie einer Befreiung (nur) durch den Tod.
Allerdings passt hierzu überhaupt nicht, dass Florestan dieses Schild im
weiteren Verlauf des gemeinsamen Jubels auch Leonore umhängt. Theoretisch
käme freilich auch der Gedanke einer Wiederauferstehung Florestans aufgrund
von Leonores Liebe und Treue in Betracht, wenn eine solche nicht schon per
se völlig unplausibel wäre. Zudem steht einer solchen Theorie entgegen, dass
Leonores Liebe und Treue ja zuvor bei der Befreiung nach dem Libretto auch
noch keinerlei „heilende“ Wirkung entfalteten.
Dieser unschlüssige
letzte Teil der Produktion wird auch musikalisch durch einen Einschub von
der restlichen Oper abgespalten: Nach demDuett „O namenlose Freude“ spielen
Musiker, die in Käfigen von der Decke herabschweben, eine gekürzte Fassung
des – wunderschönen – Molto adagio aus Beethovens Streichquartett op. 132
a-Moll. Durch dieses ruhige, meditative Stück wird die in der
„Fidelio“-Musik zuvor aufgebaute musikalische Spannung und Ekstase jäh
unterbrochen mit der Folge, dass man den letzten Teil der Oper aus einer
gewissen inneren Distanz heraus erlebt. Auch wenn man diesem Kontrast
freilich einen gewissen Reiz zusprechen kann, dürfte jedoch zumindest bei
den Freunden eines rauschhaften Musikerlebens insoweit der empfundene
Verlust bei weitem überwiegen.
Kirill Petrenko bot in der Vorstellung
am 27.01.2019 mit dem Bayerischen Staatsorchester einmal mehr einen sehr
transparenten, differenzierten Klang in hoher Präzision und zugleich voller
natürlicher Emotionalität und Ausdruckskraft. Er reizte die Extreme in
Dynamik und Tempi aus, hielt die Musik stets in natürlichem Fluss und trieb
so, ohne je zu drängen, die Handlung voran. Das Zusammenwirken zwischen dem
Orchestergraben sowie den Solisten und dem stimmgewaltigen Chor der
Bayerischen Staatsoperauf der Bühne war durchweg hervorragend.
Sämtliche Solisten zeigten sich an diesem Abend äußerst spielfreudig und mit
hoher darstellerischer Ausdruckskraft. Mit ihrem angenehmen, warmen, runden
und vollen Sopranverkörperte Anja Kampe eine Leonore, die einerseits
glaubwürdig und mit großer Natürlichkeit einen burschikosen Fidelio gibt und
andererseits hoffnungsvoll und mit einer immensen inneren Kraft und Stärke
zielstrebig die Befreiung ihres Gatten verfolgt. Leonores Befürchtungen,
ihren Mann nicht mehr lebend anzutreffen, sowie ihr Mut und ihre ungeheure
Entschlossenheit wurden intensiv erlebbar, wobei Anja Kampe sämtliche
dramatischen Ausbrüche ohne jegliche Schärfen in der Stimme meisterte.
Jonas Kaufmann präsentierte sich als Florestan in ausgezeichneter
Verfassung mit einer freien, kraftvollen und farbenreichen Stimme sowie
strahlenden Höhen. Zudem beeindruckte und berührte er tief mit einer
darstellerisch packenden Gestaltung eines in dieser Produktion vor allem
psychisch kranken, aber auch willensstarken Gefangenen. Mit einer ganz und
gar natürlich klingenden stimmlichen Gestaltung brachte Jonas Kaufmann
Florestans tiefste Verzweiflung und Wutebenso intensiv zum Ausdruck wie
dessen aufkeimende Hoffnung und Glücksgefühle am Ende. Eine besondere
Hervorhebung verdient der Beginn seiner Arie: Wie er das Wort „Gott“
scheinbar aus tiefstem Abgrund, aus einem zarten Pianissimo heraus –mit
klarer, frei strömender Stimme, ohne jegliche Manierismenund mit absoluter
Stimmkontrolle – langsam zu einem inbrünstigen, kraftvollen Fortissimo
anschwellen ließ, jagte einem Schauer über den Rücken und versetzte das
Publikum ganz unmittelbarin die Lage, an Florestans tiefster Verzweiflung
intensiv teilzuhaben.
Der Kerkermeister Rocco ist in der Sichtweise
des Regisseurs Calixto Bieito gefangen in seinem Streben nach finanziellem
Reichtum und einer Alkoholabhängigkeit. Sein Heiligtum ist ein Aktenkoffer
voller Geldscheine, den er – an seinem Handgelenk festgekettet – permanent
mit sich herumträgt. Rocco ist ein mit einer zwanghaften Persönlichkeit
ausgestatteter, suchtkranker typischer Mitläufer und bloßer
Befehlsempfänger, der allerdings so integer ist, dass er sich – unter
Aufbietung aller seiner noch vorhandenen Kräfte – dem Auftrag zu einem Mord
widersetzt. Eine durch und durch überzeugende Gestaltung dieses komplexen
Rollenporträts gelang Günther Groissböck mit seiner
volltönenden,voluminösen, klaren, kultivierten und ausgesprochen
klangschönen Bassstimme, die nicht nur über eine prächtige Mittellage,
sondern auch über eine glänzende Höhe und eine satte Tiefe verfügt.
Mit seinem hellen Bariton gestaltete Wolfgang Koch die Figur des Don Pizarro
eindrucksvoll als schmierigen, widerlichen Machthaber, der seine eigenen
zwielichtigen Interessen skrupellos über Recht und Gesetz stellt.
Hanna-Elisabeth Müller sang die Marzelline mit leuchtendem, in den Höhen
glanzvoll aufblühendem Sopran ohne Schärfen. AlsJaquino überzeugte Dean
Power mit seinem individuell timbrierten, klangschönen, lyrischen Tenor.Als
Don Fernando alias der Joker erfreute Tareq Nazmi mit frei strömender,
klarer, dunkler Bassstimme. Caspar Singh als 1. Gefangener ließ mit einem
metallisch schimmerndenTenor aufhorchen. Oleg Davydov rundete als 2.
Gefangener die hervorragende Solistenriege ab.
Am Ende
verdientermaßen großer und lang anhaltender Jubel für alle Beteiligten.
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