Die Welt, 18.4.2019
Von Peter Krause
 
Bizet: Carmen, Hamburger Staatsoper, 16. April 2019
 
An der Stimme lag‘s nicht
 
 
Startenor Jonas Kaufmann begeistert beim ersten Hamburger Auftritt nach seiner Schelte der Elbphilharmonie-Akustik – als Don José in Bizets „Carmen“ an der Staatsoper

Auf dem Besetzungszettel des Abends steht schlicht: „33. Vorstellung seit der Premiere am 19. Januar 2014“. Doch diese letzte Aufführung von Georges Bizets Opernhit „Carmen“ in dieser Spielzeit hat den Nimbus des Außergewöhnlichen. Die Vergabe von Karten unterlag strengen Reglementierungen, die Preise wurden im Vergleich zu Vorstellung Nummer 32 am vergangenen Donnerstag mehr als verdoppelt, kein Abonnement füllte den Saal, der restlos ausverkauft war. Der Grund: Der teuerste Tenor unserer Tage gab eines seiner handverlesenen Hamburg-Gastspiele.

Nach seinem verkorksten Konzert in der Elbphilharmonie und inmitten der nicht enden wollenden Diskussion um die Akustik des Konzerthauses steht der Auftritt in der Staatsoper unter besonderer Beobachtung. Schließlich mutmaßte man bereits, es könne ja auch an den schwindenden stimmlichen Mitteln des Jonas Kaufmann gelegen haben, dass sein Elphie-Mahler nicht wirklich funktioniert hat.

Nun also gibt er den Don José in der „Carmen“, für den an der Dammtorstraße in der über Jahrzehnte gespielten Vorgängerinszenierung einst Plácido Domingo die erste Wahl war. Im Profil betrachtet wird der Münchner Kaufmann dem mittlerweile zum Bariton tiefergelegten Tenorissimo aus Spanien immer ähnlicher. Und die mit den Jahren eingedunkelte, in der Mittellage mitunter spröde, im Piano kehlige Stimme hat einen Reifungsprozess durchgemacht, der die Mutation zum Bariton auch bei ihm immerhin denkbar erscheinen lässt.

Kaufmanns erste Töne hinterlassen Fragezeichen. Die Stimme klingt trocken, belegt. Doch bis zum ersten, sehnlichst erwarteten Hit, der Blumenarie, hat Kaufmann Zeit, sich warm zu singen. Er enthält sich jeder Stimmprotzerei, fühlt sich stattdessen ein in den unbändig verliebten jungen Soldaten José, der für seine Carmen so ziemlich alles aufgeben würde. Das gefürchtete Hohe B am Ende der Arie, das Tenöre wahlweise brüllend stemmen, um auf Nummer sicher zu gehen, oder aber fistelnd flüstern, um feines Gefühl vorzutäuschen, wagt er im Pianissimo – und gewinnt.

Überhaupt ist beim Star dieser Gala-„Carmen“ die gestalterische Durchdringung der Figur mindestens so wichtig wie die stimmliche Bezwingung der Rolle. Auch in den gesprochenen französischen Dialogen der von Regisseur Jens-Daniel Herzog gewählten, einst an der Pariser Opéra Comique Ur-„Carmen“ – ohne die später nachkomponierten Rezitative – merkt man Kaufmann die präzise Durchdringung jeder Textnuance an. Er will in den Charakter wirklich eintauchen, ist ein denkender Sänger, widerlegt das Klischee vom dummen Tenor so beherzt wie nur wenige Kollegen.

Apropos Klischeefalle: Auch Clémentine Margaine tappt in der Titelpartie mitnichten in die Fettnäpfchen vom in Männerhirnen gespeicherten Bild der Femme Fatale, der ach so verführerischen Zigeunerin, die La Liberté absolut setzt und sich mit jedem Männerwechsel erneut fragt: „Was kümmert mich mein Treue-Geschwätz von gestern?“ Die Französin gibt eine in sich ruhende, ihre Prinzipien selbstbewusst lebende junge Frau von naturgegebener Stärke.

Die gerade nötige Portion Carmen-Rauchigkeit mischt sie ihrem Mezzosopran sehr wohl bei, dosiert diese freilich so klug, dass stets auch eine edle und ernste Weiblichkeit durchscheint und ihre vokalen Linien zwischen dem prallen Sexappeal der Bruststimme und dem sanften erotischen Schillern der Kopfstimme herrlich fließen können. Kein Wunder, dass Margaine von München bis zur Met eine der bevorzugten Sängerinnen der Carmen ist.

Mit der Armenierin Ruzan Mantashyan ist Carmens hell strahlender, beseelt intonierender Femme-Fragile-Gegenpol mit einem veritablen Engelssopran besetzt. Und Don Josès Gegenspieler um die Gunst der Carmen ist durch Alexander Vinogradov ein echtes Schwergewicht, ein Escamillo von viriler Bassgewalt. Der Sänger übertrifft seinen Zaccaria im aktuellen Hamburger Nabucco noch deutlich.

Am Pult des überaus präzise differenzierenden Philharmonischen Staatsorchesters setzt Pier Giorgio Morandi auf ein südlich luzides Bizet-Bild. Statt der vordergründigen Lautstärke und des Pathos der französischen Grand Opéra erleben wir gleichsam ein Konversationsstück der Zwischentöne. Auch die Inszenierung profitiert in ihrer 33. Vorstellung seit der Premiere von den leider nur für einen Abend eingeflogenen großen Sängerpersönlichkeiten.

Jens-Daniel Herzogs Übertragung der Handlung in die spanische Franco-Diktatur funktioniert jedenfalls bestens: Da sind die allzu übergriffigen Soldaten um Leutnant Zuniga und das Widerstandsnest der Schmuggler um Carmen, da ist der Wanderer zwischen den Welten, José, der seine Soldatenpflicht letztlich nur zu gern für seine Carmen geopfert hat und am Ende ganz still fleht um diese längst verlorene Liebe, schließlich vollends ausrastet. Denn sie hat sich für den anderen, den Torero entschieden. Als Liebesmörder José läuft Kaufmann nun zu maximaler sängerdarstellerischer Form auf. Langer, echter Jubel in der Staatsoper.


















 
 
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