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Nürnberger Nachrichten, 13.01.2019 |
JENS VOSKAMP
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Mahler: Das Lied von der Erde, Nürnberg, 10. Januar 2019
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Wo sich Daseinsfreude und Weltschmerz eng berühren |
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Jonas Kaufmann und das Sinfonieorchester Basel mit Mahlers "Lied von
der Erde" in der Nürnberger Meistersingerhalle
Einen tiefen
Griff in die spätromantische Zauberklangkiste unternahmen das
Sinfonieorchester Basel und Stargast Jonas Kaufmann in der Nürnberger
Meistersingerhalle: Mit Richard Strauss und Gustav Mahler spielten sie zwar
ihre Stärken aus, trafen aber nicht unbedingt den Geschmack des breiteren
Publikums.
Wer an Jonas Kaufmann denkt, dem kommt sicher unweigerlich
dessen Liebe zu Italien, zum Belcanto und zu folkloristischer Italianità in
den Sinn. Es gibt nur wenige deutsche Sänger, denen man dieses Faible
authentisch abnimmt. Bei dem Münchner Tenor ist das der Fall. Mit der
gleichen südländischen Daseinsfreude, Emphase und Intensität geht er auch an
das "Lied von der Erde", das es von seinem vokalen Anspruch locker mit einer
anspruchsvollen Opernpartie aufnimmt — zumal wenn die sechs Orchesterlieder
nur ein einziger Interpret schultert.
Kaufmann vertraut dabei auf die
baritonalen Qualitäten seiner Stimme, die aber doch nicht so ausgeprägt
sind, als dass er die Kontraste wirklich erfüllen könnte, die Mahler mit der
ursprünglichen Verteilung auf eine Alt- und eine Tenorlage beabsichtigte.
Ohne Zweifel: Er ist ein dringlicher, am Detail interessierter Wortinterpret
und dennoch ereilt ihn das Schicksal, das fast jeden Sänger in einer
Live-Aufführung trifft. Mahlers riesenhafter Orchesteraufbau ist für
unverstärkte Stimmen einfach zu mächtig, als dass man locker über die
aufgetürmten Klangschichtungen hinwegsingen könnte.
Nicht, dass es
keine Piano-Stellen gäbe, die dem Sänger einmal die Chance ließen, wirklich
gehört zu werden. Aber sie sind im Verhältnis sehr rar gesät. Somit ist eine
optimale Balance zwischen Instrumental- und Gesangspart fast nur in
Studioproduktionen zu erzielen.
Weltseliger Rausch Dennoch
vermittelte Kaufmann die weltselige, dem Rausch ergebene und ganz
untranszendentale Aura dieser Sinfoniekantate auf sehr zu Herzen gehende
Weise. Zumal das zahlreiche, allerdings auffällig unruhige Publikum für
einigermaßen ungünstige Aufführungsverhältnisse sorgte und viele
entscheidende Stellen schlicht verhustete . . .
Dabei zeigte das groß
besetzte Schweizer Orchester viele Qualitäten: Schon in Richard Strauss’
Tondichtung "Also sprach Zarathustra", die übrigens inhaltlich wie von ihrer
Lust an sinfonischer Farbigkeit ausgezeichnet mit dem "Lied von der Erde"
korrespondiert, war die Präsenz und stilistisch gefühlvolle Aneignung aller
Instrumentengruppen zu bewundern. Zumal Kaufmann-Freund Jochen Rieder mit
seiner großformatigen Zeichengebung wenig eigene Akzente setzte und sich mit
der Koordination des Geschehens zufrieden gab.
Auch als
Mahler-Orchester machten die Basler enormen Eindruck. Nie lärmend, sondern
die Extremität in Lautstärke und Duktus als Suche nach der Erweiterung der
Klanggrenzen deutend. Die zahlreichen Solos zeugten daneben von den
individuellen Qualitäten. Nein, den Latin-Lover konnte Jonas Kaufmann hier
nicht geben, sondern den chinesischen Landbewohner wie ihn sich die
europäische Belle Époque sicher etwas naiv vorstellte. Das war oft grandios,
nicht in allem überzeugend, wurde aber mit vielen Bravos quittiert.
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