Basler Zeitung, 18.01.2019
Von Simon Bordier
 
Mahler: Das Lied von der Erde, Dornach, 16. Januar 2019
Die Grenze des Singbaren ist die Grenze des Ichs
 
Jonas Kaufmann und das Sinfonieorchester Basel gewinnen ihr Heimspiel im Goetheanum
 
Der Tenor Jonas Kaufmann will es wissen: Pathetisch, überschwänglich, kraftstrotzend stimmt er "Das Trinklied vom Jammer der Erde" an. Das virile Gehabe ist etwas übertrieben, doch so soll es sein. Denn man ahnt bald, dass hinter dieser Übertreibung eine Existenz steckt, die Angst hat, Halt sucht, die um ihr Ende weiss.

Wer oder was diese Existenz ist, lässt sich in den knapp 70 Minuten so lange dauert eine Aufführung von Gustav Mahlers Orchesterzyklus "Das Lied von der Erde" nicht genau sagen. Das lyrische Ich ähnelt ein wenig dem Protagonisten von Georg Büchners Erzählung "Lenz": In seiner Angst stürzt er sich ins Leben, in die Natur, verschmilzt mit ihr auf qualvoll-schizophrene Weise. Auf Mahler und Kaufmann bezogen bedeutet das: Je fremder, exotischer die Orchesterklänge (fernöstliche Pentatonik, "Zigeunermoll", Celesta, Mandoline), desto beherzter scheint sich der Sänger auf sie zu stürzen, sie sich einzuverleiben. Am Ende kann er getrost singen: "Die liebe Erde allüberall blüht auf im Lenz" er geht völlig in und mit ihr auf.

Auch rein technisch betrachtet funktioniert das Zusammenspiel zwischen dem Sänger und dem Sinfonieorchester Basel (SOB) beim Konzert am Mittwoch im Goetheanum Dornach sehr gut. Seit über einer Woche sind der deutsche Starsänger und die Basler Musiker auf Deutschland- und Schweiz-Tournee. In dieser Zeit dürften das gegenseitige Vertrauen und die Gelöstheit entstanden sein, die beim ausverkauften Heimspiel in Dornach auffallen (Leitung: Jochen Rieder): Mal erinnert das Orchester den Helden in seinem Wein- und Machtrausch mit dissonanten Klängen an die Vergänglichkeit, mal kommt es seinem Lebenshunger mit einem Farbenfest entgegen.

Einen originellen Auftakt zu Mahler bildet das Orchesterstück "Rendering" aus der Paul-Sacher-Stiftung: ein Hybrid aus sinfonischen Skizzen von Franz Schubert (17971828) und Takten aus der Feder Luciano Berios (19252003). In dem Werk lässt der Italiener gleichsam einen feinen modernen Wind durch Schuberts fragmentarische Stücke ziehen und bringt sie so zum Tanzen.

Existenzielles Ringen
Jeden zweiten Tag das "Lied von der Erde" singen, wie es Kaufmann zuletzt tat, ist anstrengend. Zumal der 49-Jährige sowohl den Tenor- als auch den Altpart singt. Durch das ambitiöse, eigensinnige Vorgehen geht der Kontrast zwischen Tenor- und Altsätzen etwas verloren. Kaufmanns One-Man-Show hat dafür aber etwas Ergreifend-Theatralisches: Es geht um das existenzielle Ringen eines Einzelnen. Es ist, als gehe der Tenor dabei bewusst an seine technischen Grenzen.

Die Spitzennoten kamen ihm am Mittwoch, nach einer anstrengenden Tourneewoche, denn auch nicht ganz so leicht über die Lippen, und jugendliche Heiterkeit im Satz "Von der Jugend" verströmte vor allem das Orchester. Doch im Unterschied zur Aufführung vor einer Woche in Hamburg folgte das Publikum in Dornach der anspruchsvollen Mahler-Musik hoch konzentriert, ja wie gebannt.



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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