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Salzburger Nachrichten, 3. Juli 2018 |
KARL HARB |
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Wagner: Parsifal, Bayerische Staatsoper, ab 28. Juni 2018
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Zum Raum wird hier kein Bild |
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„Zeig mir deine Wunde" war das Spielzeitmotto der Staatsoper in München. In Wagners „Parsifal" klafft sie nicht nur beim Schmerzensmann Amfortas. |
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Angesagte Wunder finden eigentlich selten statt. Und der Überdruck, den eine
Eröffnungspremiere der Münchner Opernfestspiele erzeugt, mag auf das
Ergebnis auch nicht beruhigend wirken.
Wenn sich nun Münchens
gefeierter und geliebter Musikchef Kirill Petrenko erstmals Wagners
„Parsifal" vornimmt, kann man sicher sein: Da passiert Außerordentliches.
Tatsächlich fächert der so emphatische wie charismatische Dirigent Wagners
Bühnenweihfestspiel ohne allen Weih(rauch)charakter als kühne, wegweisende,
modernste Partitur des Bayreuther Meisters in zahllosen unerhörten Facetten
auf. Immer noch tiefer und noch genauer scheint sein Blick zu gehen, noch
die verborgensten Winkel werden erforscht und ausgeleuchtet, dazu kommt eine
jederzeit logische Tempo- und Dynamikdisposition, die das Laute nie grell
und das Leise bis fast ans Unhörbare führen kann, ohne dass es an
auratischem Klang verlieren würde. „Sein" Staatsorchester spielt wie immer
an der Stuhlkante, vom herrlich gespannten Unisono des
Klangwunder - mit kleinen Trübungen Abendmahlmotivs weg, agiert
mit einer Spannkraft und erlesenen Klangkultur, die ihresgleichen sucht.
Und doch wird man — oder ist das der von uns besuchten zweiten Vorstellung
am Sonntag geschuldet? —über die ganze Dauer des langen Werks nicht wirklich
durchgehend gebannt. Petrenko verliert sich immer wieder in einer preziösen
Detailtüftelei, deren penible Ausformulierungen den Fluss bremsen, das Licht
wird so schattiert, dass öfter diffuse Streuungen entstehen.
Aber man
soll ja genau hinhören, denn zu sehen gibt es nichts. Die Münchner Oper
verpflichtete den 80-jährigen „Starkünstler" Georg Baselitz, der, so hört
man, „Regietheater" als „Perversion" sieht, weshalb er sich als
inszenatorischen Erfüllungsgehilfen den 3o Jahre lang verdienten Intendanten
der Amsterdamer Oper, Pierre Audi, als Kompagnon aussuchte. Der gibt auch
unumwunden zu, dass die Bilder hier ausschlaggebend seien.
Dabei
handelt es sich um drei Zwischenvorhänge mit einmal liegenden, dann obligat
kopfstehenden Männerzeichnungen, einen schwarzen Laubsägewald nach
heftigstem sauren Regen (der im dritten Aufzug auch verkehrt herum hängt)
und eine archaisch gezeichnete Burg für den bösen Klingsor, die am Ende,
sich pittoresk faltend, zusammenbricht.
Apropos Perversion: Was die
hässlichen fleischfarbigen Fatsuits der Gralsritter und die mit runzligen
Hängebrüsten ausstaffierten Blumenmädchen als ästhetischen Mehrwert
klassifizieren könnte, erschließt sich wie vieles an diesen seit Langem
ödesten und sinnfreiesten „Parsifal"-Orten nicht.
Jedenfalls lassen
sie, da Pierre Audi einen Aussagewillen des Regieführens nicht erkennen
ließ, Raum für die fünf Protagonisten, nach eigenem Gutdünken zu agieren. Am
nachhaltigsten tut dies Christian Gerhaher als Schmerzensmann Amfortas. Er
scheint sich als Totgezeichneter seine eigene Inszenierung zurechtzulegen,
gestützt auf eine Krücke, mühevoll sich haltend, aber herrisch und bestimmt,
stimmlich, indem er jede Silbe, jedes Wort, jede Phrase quasi singsprechend
zerlegt, mit Bedeutung auflädt und Wort für Wort mit eigener Farbe versieht.
Jonas Kaufmann als Parsifal gibt zu erkennen, dass die Partie eigentlich
nur aus einem großen, dann auch leidenschaftlich durchdeklinierten Duett mit
Kundry besteht, sonst aber viel Wartezeit auf jeweils kürzere Einsätze
enthält. Der Tenor, dunkel, brustig, beinahe baritonal, scheint sich in
dieser „Mittellage" der Vokaltemperatur durchaus wohlzufühlen. In sich
ruht der majestätisch strömende Bass von Rene Pape als Gurnemanz, dessen
riesige Erzählungen im ersten Aufzug wie ein Singschauspiel gelingen, weil
Kirill Petrenko die orchestralen Linien aufs Allerzarteste Jeder
Einzelne zeigt seine Qualitäten zur fast impressionistischen
Grundierung einsetzt. Auch das ist von ganz eigener Art.
Als Kundry
wirft Nina Stemme ihre glühende Stimmdramatik aufs Vorteilhafteste ins
Geschehen, und wenn dann noch Wolfgang Koch als Klingsor mit metallischer
Attacke dazukommt, bekommt die Aufführung einen nicht unbeträchtlichen Zug.
Jeder Einzelne: ein Solitär. Alle zusammen: nicht unbedingt ein ideales
Ensemble. Und folglich: ein „Parsifal" nicht ganz aus einem Guss. |
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