Neues Deutschland, 03.07.2018
Von Roberto Becker
 
Wagner: Parsifal, Bayerische Staatsoper, ab 28. Juni 2018
Das Kreuz mit dem Gral
In München liefert Georg Baselitz den optischen Rahmen für einen neuen »Parsifal« der musikalischen Spitzenklasse

Ob das so gemeint war? Das Kreuz der Christen soll ja in allen Institutionen, die der Bayerischen Staatsregierung lieb und teuer sind, sichtbar platziert werden. Also auch auf der Bühne der Münchner Staatsoper? Ganz so »treu im Glauben« sind sie im katholischen München jedoch nicht. Es liegt am Stück. Wagners »Parsifal« galt dem Meister aus dem protestantischen Leipzig als »Bühnenweihfestspiel«. Und da passt das natürlich. Das recht zierliche Kreuz, das Jonas Kaufmann als strahlender Sänger der Titelpartie in Rampennähe aufgestellt hat, geht außerdem fast unter. Denn für die Ausstattung des neuen »Parsifal«, mit dem in München die Opernfestspiele eröffnet wurden (einen Monat jeden Abend Oper vom Feinsten!), war der Malerstar Georg Baselitz verantwortlich. Und der liebt es ja eher grob. Skizzierend. Vor allem auf dem Kopf stehend. Ganz gleich, ob uniformierte Helden mit Kriegerränzlein. Oder verkohlte Wälder. Oder vom Leben gezeichnete Körper.

Der Chef der Bayerischen Staatsoper Nikolaus Bachler hat viel übrig für die bildenden Künste. Das merkt man dem öffentlichen Auftritt seines Hauses an. Dass hier einer der Malerfürsten als Ausstatter infrage kommt, war geradezu überfällig. In der Lindenoper war es vor Kurzem Markus Lüpertz, in Bayreuth wird es nächstens Neo Rauch (als Lohengrin-Bühnenbildner) sein. Und jetzt in München ist es eben Baselitz, der die ganz große Bühne für seinen Auftritt bekommt. Denn das ist es vor allem. Ein Wald für die Ritter, der im dritten Aufzug natürlich auf dem Kopf steht, wie es bei ihm zum Markenzeichen geworden ist.

Im zweiten Akt ein Ausweichen auf (bzw. für die Sänger vor) einen Zwischenvorhang und eine XL-Mauerleinwand mit metaphorischem Riss. Die ist auch der Hintergrund für die Blumenmädchen, die Parsifal diesmal wirklich Angst machen. Mit einem Albtraum von (übergezogener) verwelkter Körperlichkeit unter den verlotterten Mänteln. So wie die Ritter unter ihren Uniformen bei der Gralsenthüllung. Die eigentlich gar keine ist. Amfortas hält ein blutiges Etwas in die Höhe (vielleicht einen Kristall), und alle halten sich mit den Händen die Augen zu. Vielleicht suchen sie nach etwas in sich selbst. Einen gewissen selbstironischen Witz hat das Zusammensinken des Waldes am Ende des ersten Aktes. Da ist einfach die Luft raus. Ansonsten dominiert Rumstehtheater. Pierre Audi (als Langzeit-Intendant in Amsterdam großartig, als Regisseur aber definitiv kein Jünger der Personenregie-Apostel, die hierzulande den Ton angeben) lässt seine Darsteller in Ruhe.

Dafür aber triumphiert - wen wundert es bei diesem Staraufgebot? - die Musik. Denn im Graben dirigiert der russische Wunderknabe Kirill Petrenko seinen ersten »Parsifal«. Und wie er das macht! Hochkonzentriert und zügig (er liegt mit einer Stunde 36 Minuten deutlich unter dem, was sich in Bayreuth so eingependelt hat) - aber es wirkt dennoch nicht überhastet. Sondern klar und strahlend. Schon lauter, als unter dem Bayreuther Orchesterdeckel, aber nicht sängergefährdend. Petrenko kann Wagner. Und wird bejubelt von den Münchnern, die ihn bald an die Berliner Philharmoniker abtreten müssen.

Und dann Jonas Kaufmann - der Tenorstrahlemann, der nicht nur schön singt, sondern sich auch noch was dabei denkt. Sowie René Pape, die Gurnemanz-Zuverlässigkeit in Person. Nina Stemme ist eine phantastische Kundry. Wolfang Koch setzt ihr als Klingsor gehörig zu und erweist sich auch in dieser Wagnerpartie als Trumpf. Etwas ganz Besonderes liefert Christian Gerhaher. Der vom Lied kommt, aber inzwischen längst ein Joker für jede Opernproduktion ist. Er macht aus Amfortas Geschichte (der über den Gralskönig, der sterben will, aber den die anderen nicht lassen, weil er mit seiner Gralsenthüllung auch ihr Leben erhält) einen Psychokrimi. Liefert die Personenführung selbst, die Audi den anderen verweigert. Ein Leidensmann, der das Leiden bis in den Wahnsinn treibt, und stellenweise aussieht, als wäre er Shakespeares Lear in der Endphase. Das ist ein so packender wie faszinierender Solitär in dieser Produktion, allerdings übertreibt er sein Auf und Ab der Gefühle dann doch etwas.

Der Jubel für die Protagonisten war groß. Der Buhsturm für das Regieteam auch. Das war einst bei Konwitschnys Vorgängerinszenierung auch so. Aber aus anderen Gründen.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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