Trossinger Zeitung, 30. Juni 2018
Von Klaus Adam
 
Wagner: Parsifal, Bayerische Staatsoper, 28. Juni 2018
Wer weiß schon, was er sah
Die Neu-Inszenierung des „Parsifal" an der Bayerischen Staatsoper erntet viel Widerspruch

MÜNCHEN - Prominent besetzt auf der Bühne und im Graben ist der neue „Parsifal"an der Bayerischen Staatsoper mit Jonas Kaufmann in der Titelrolle, Nina Stemme als Kundry, Rene. Pape als Gurnemanz, Christian Gerhaher als Amfortas, und am Pult steht Kirill Petrenko. Das Bühnenbild hat kein Geringerer als Georg Baselitz entworfen, inszeniert hat Pierre Audi, Intendant der Oper Amsterdam. Doch der Widerspruch des Publikums war vehement.

„Weißt Du, was Du sahst?", fragt Gurnemanz am Ende des ersten Aufzugs Parsifal. Er hat den Hereingeschneiten zu einem rituellen Treffen der Gralsritter mitgenommen. Der junge Mann schweigt, schüttelt den Kopf. Das haben auch viele im Publikum getan über diese neue Aufführung von Wagners „Bühnenweihfestspiel".

Man verliert sich zunächst im ungestörten Lauschen des von Kirill Petrenko und dem fabulösen Staatsorchester bannend musizierten Vorspiel. Ein bemalter Zwischenvorhang hindert den Regisseur Pierre Audi, es zu bebildern, was ja heute gern gemacht wird. Die Ausstattung ermöglicht, das Schaffen von Georg Baselitz zu überblicken. Im Gralshain ragen Baum-Visionen in die Höhe. Nach dem Fiasko des überforderten Parsifal verdorrt die Natur, der Wald stirbt, die kahlen Stämme versinken. Der Tempel ist ein kleiner Kreis von Granitquadern, erinnert an Stonehenge. Klingsors Refugium umschließt eine weiße Mauer mit gewellten schwarzen Fugen. Die Karfreitagsaue kennt weder Wiese noch Blumen, die mit Grafik belebten Wände werden in ein kräftiges Rot/ Lila getaucht. Ob die frisch getaufte Kundry im Gralstempel oder schon auf der Wanderung dorthin verschied, blieb mir dank einer Dame mit Lockenpracht in Reihe 9 verborgen. Dass die Akustik in Reihe 10 nahe dem herein kragenden Balkon die Stimmen dämpft, dürfte wohl andere Gründe haben. Es gibt keinen Gral „Baselitz ist einer der größten bildenden Künstler aller Zeiten", adoriert der Regisseur Pierre Audi. Und „Parsifal"sei ein fantastisches Abenteuer. „Wir kamen zu dem Schluss, dass es keinen Gral im Werk gibt. Der Gral ist etwas Geheimnisvolles. Es gibt auch keinen Speer. Bei Klingsors Entmachtung wird mit einer Art mickriger Mini-Lanze hantiert. Die bringt Parsifal dann als Morgengabe den Gralsrittern zurück. Die Abendmahlsszene zuvor ohne Wein und Lebensbrot wirkt wie eine Blasphemie. Zuletzt ziehen sich die Ritter aus und wandern in scheußlichen fleischfarbenen Fetzen herum. Im Zug der Gleichberechtigung dürfen die Blumenmädchen zwar noch vokal betören, aber potenzielle Kunden als degoutante Vetteln mit Hängebusen abschrecken. Nur Kundry ist ein schickes Abendkleid gegönnt.

In München haben wir Kirill Petrenko bei sechs Wagner-Interpretationen feiern dürfen. War diese Premiere seine erste Begegnung mit „Parsifal" ? Er musizierte weite Passagen lyrisch-leise, farblich und instrumental wundersam ausgewogen, aber es ließ die Spannung nach. Wie immer nahm er Rücksicht auf die Sänger: Rene Pape, verehrt seit manchem Jahr, in Gestaltung und Schönheit der Stimme unerreicht, musste Kraft sparen und näherte sich kunstvollem Wispern. Diese leise Intensität pflegte auch Christian Gerhaher (Amfortas), riskierte aber immerhin ein paar dramatische Ausbrüche. Wer wünscht dem hervorragenden Liedinterpreten nicht die rückhaltlose Expressivität für die Emotionen einer Operngestalt? Jonas Kaufmann packt als Parsifal primär mit Bühnenpräsenz, Ausdrucksnuancen und Gestaltung. Imponierend und vielschichtig Wolfgang Koch als Klingsor, Balint Szabo sang den Titurel. Die Krone des Abends gebührte Nina Stemme, die mit farbenreicher dramatischer Stimmkraft Furor wie Fatalismus der Figur bewegend zu leben wusste. Die Chöre waren einsatzfreudig, trotz der Regiezumutungen.

Freundlicher abgestufter Beifall für die Sänger, Ovationen für Dirigent und Orchester. Die lautesten Stimmen steuerten die Buhrufe für Baselitz und seine Helfer bei. Die nächsten Vorstellungen sind ausverkauft. „Parsifal"wird im März 2019 noch dreimal gespielt.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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