Abendzeitung, 29.06.2018
Robert Braunmüller
 
Wagner: Parsifal, Bayerische Staatsoper, 28. Juni 2018
Augen zu und durch beim Baselitz-"Parsifal"
Der neue „Parsifal“ der Bayerischen Staatsoper ist eine musikalische Sensation in einer szenischen Ödnis
Augen zu, Ohren auf. Etwa im zweiten Aufzug, wenn Jonas Kaufmann sein „Amfortas! Die Wunde“ markerschütternd ins Nationaltheater schleudert. Wenn ein echter Heldentenor auf der Bühne steht, der nicht nur mit Kraft prunkt, sondern auch noch intelligent gestaltet, wird es unwichtig, wer für die Ausstattung zuständig war.

Den Hintergrund malte in dieser Neuinszenierung von Richard Wagners letztem Musikdrama ohnehin nicht der aus dem Besetzungszettel als Bühnenbildner genannte Georg Baselitz, sondern das Bayerische Staatsorchester. Dem gingen anfangs ein paar Farbspritzer daneben. Dann holte Kirill Petrenko den tiefen Schmerz in der erotischen Musik und die Trauer der Gralsfeierlichkeit heraus – mit einem stark variierten, aber natürlichen Tempo, vielen Schattierungen in Schwarz im ersten und dritten Akt und einer fast expressionistischen streifenden Farbigkeit in Klingsors Zaubergarten. Überwältigend!

Kranke Bosheit und böse Krankheit
Im Gralstempel erschreckte Christian Gerhaher mit einer radikal-rücksichtslosen Darstellung der Schmerzen des Amfortas. Wo andere Sänger sich in sonore Operndramatik retten, provozierte der Bariton durch fahlen Sprechgesang und die Darstellung kranker Bosheit und böser Krankheit. Ein krasser Naturalismus, der den Rahmen dieser sonst szenisch allzu braven Aufführung sprengte, die besser nach Baden-Baden oder zu den Salzburger Osterfestspielen gepasst hätte, wo der Musikgenuss nicht durch szenische Intelligenz gestört werden darf.

Die Staatsoper leistet sich den Luxus, den Klingsor mit ihrem Hans Sachs zu besetzen. Was sich unbedingt lohnt: Wolfgang Koch schlüpfte am Beginn des zweiten Akts unter dem Vorhang durch, wie es mancher Papageno macht und verbreitete anschließend eine zynische und grundböse Lustigkeit – das kongeniale Gegenstück zu Gerhahers Amfortas. Da fiel René Pape fast ein wenig ab. Er brach den Ernst des Gralsritters Gurnemanz mit Kauzigkeit. Im dritten Akt, beim Karfreitagszauber, verblasste sein reicher Gesang etwas. Die Kundry war nach vielen Jahren wieder eine Hochdramatische: Nina Stemmes Erotik mag etwas unterkühlt wirken. Aber ihre Stimme ist kontrolliert genug für die Lyrismen der Herzeleide-Erzählung. Kundrys Raserei am Rande des Wahnsinns darf sie am Ende des zweiten Aufzugs leider nicht spielen. Aber die Stemme singt es – und das reicht aus.

Wolfgang Wagner inszeniert wieder
Diese schwer zu überbietende Fülle an Gesangskunst war auf der Bühne sich selbst überlassen. Es schien, als sei der Name Pierre Audi ein Pseudonym für den wiederauferstandenen Wolfgang Wagner. Die Regie flüchtete in eine altväterliche Stilisierung, die im handwerklichen Detail – etwa dem Abgang Kundrys vor der Verwandlungsmusik – auch peinlich wirkte. Vermutlich hat Baselitz seine Entwürfe für „Parsifal“ längst gut verkauft. Es mag eine taugliche Strategie sein, mit dem Namen des berühmten Malers kunstbegeisterte und zahlungskräftige Leute ins Nationaltheater zu locken, denen normalerweise vor der Oper im Allgemeinen und vor Wagner im Besonderen graust.

Aber was bringt es? Die Werkstätten haben drei Vorhänge mit ausgemergelten Baselitz-Männchen bepinselt. Dazu gibt es männliches und weibliches Gammelfleisch und einen schwarzen Laubsäge-Wald. Der dient unverändert als Gralstempel, welkt am Ende des ersten Aufzugs und kehrt im dritten kopfüber zurück. Weil Baselitz mitbekommen hat, dass es im zweiten Aufzug um weibliche Sexualität geht, klafft ein Riss in der gemalten Mauer.
Platter geht es kaum. Das fand auch das Publikum: Es gab Buhs für Baselitz & Co., auf die der Maler ziemlich angefressen reagierte. Womöglich glaubte er, die Opernspießer provoziert zu haben. Oder fühlte er sich bei der Denkfaulheit ertappt, mit der er hier seine Altherrenprobleme auf die Bühne gebracht hat?

Die alte Konwitschny-Inszenierung hat ihre beste Zeit hinter sich. Dass sie dieser stinklangweiligen, semi-konzertanten Kunstausstellung mit Musik weichen musste, stimmt für einen Moment traurig. Ausstattungen berühmter Maler enttäuschen fast immer. Aber vielleicht glückt gegen Ende der Ära Bachler noch die Verbindung zwischen Oper und Bildender Kunst, wenn Marina Abramovic 2020 ihr Projekt „Seven Deaths“ über Maria Callas im Nationaltheater verwirklicht. Denn diese Frau weiß, was eine Bühne ist.



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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