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Online Merker, 03.12.2018 |
Susanne Kittel-May
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Verdi: Otello, Bayerische Staatsoper, 2. Dezember 2018
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Desdemonas Sicht |
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Eine Inszenierung über die man spricht. Die Beurteilungen in den Feuilletons
der deutschsprachigen Presse gingen von „Thema verfehlt“ bis zu hellauf
begeistert. Was kann einem Opernhaus Besseres passieren, als dass man über
die Neuproduktionen spricht? Und Gesprächsstoff bietet diese Neuinszenierung
von Otello zuhauf. Auch nach der dritten Aufführung vom 2.12. bleibt der
Eindruck einer spannenden, auch kontroversen, neuen Sichtweise auf die
altbekannte Tragödie.
Neu ist vor allem weibliche Sichtweise der
RegisseurinAmélie Niermeier, ausgehend von der Annahme, dass Desdemona nicht
das naive, kleine Mädchen ist, als das sie meistens dargestellt wird,
sondern vielmehr eine starke Frau, die immerhin gegen den Willen ihres
Vaters einen Außenseiter der Gesellschaft, der sie selbst angehört,
heiratet. Dieser Außenseiter, Otello, ist Soldat und hat sich ausschließlich
durch militärisch-strategischen Verdienste den gesellschaftlichen Aufstieg
erarbeitet, ohne jedoch wirklich zu der Welt Desdemonas zu gehören.
Diese beiden Welten werden in der Münchner Produktion durch zwei fast
identische Räume symbolisiert, die Bühnenbildner Christian Schmid
hintereinander auf die Bühne schachtelt: hinten die helle, Welt Desdemonas,
sauber und ordentlich, kühl wirkend. Vorne ein dunkler Saal, wie
ausgebrannt, Asche liegt noch in den Ecken. Otello betritt Desdemonas Welt
genau zwei Mal: als Kriegsheimkehrer zum „Esultate“ und am Ende, wenn er sie
erwürgt. Alles andere, die sogenannte äußere Handlung, findet im dunklen
Bereich der Bühne, in Otellos Welt statt. Desdemona zieht sich immer wieder
in ihre Welt zurück, während vorne Jago sein Gift verspritzt.
Die
Teilung in zwei Welten wird unterstrichen durch die Kostüme: für Otello ein
schlechtsitzender, grauer Soldaten-Anzug ohne Rangabzeichen, Hosenträger, er
trägt soldatisch kurze Haare. Alle anderen Darsteller, tragen gut
geschnittene Anzüge, Desdemona mondäne Kleider und einen Hosenanzug, so ihre
Zugehörigkeit zur Upper-Class zeigend. (Kostüme: Annelies Vanleare). Eine
Ausnahme auch Jago: er ist eher lässig gekleidet, mit Turnschuhen und
T-Shirt und stellt sich dadurch als zu keiner der beiden Welten gehörend
dar.
Niermeyer legt psychologische Schichten in „Otello“ frei, stellt
Fragen an den Text und an die Musik, ohne die Antworten gleich mitzuliefern.
Dieses Konzept geht auf, da es handwerklich gut gemacht ist und konsequent
durchgehalten wird. Ein solches Konzept benötigt allerdings
Sänger-Darsteller, die es erstens mittragen und zweitens das auch darstellen
können.Das ist bei der aktuellen Besetzung in höchstem Masse gegeben.
Vor allem Jonas Kaufmann liefert das erschütternde Psychogramm eines vom
Krieg schwer traumatisierten Mannes. Die strahlende, trompetenhafte Höhe
darf nur selten aufleuchten, z.B. im „Esultate“, oder beim Racheschwur,
ansonsten nimmt Kaufmann seine Stimme noch mehr zurück als sonst von ihm
gewohnt, gewollt fahle Farben herrschen vor. Das ist durchaus im Sinne
Verdis und seiner Partitur, es gibt Dutzende von Vortragsanweisungen wie
„morendo“, „voce soffocata“, sogar ein eigentlich unsingbares vierfaches
Piano hat Verdi für Otello vorgeschrieben. Im Vergleich zur Premiere singt
Kaufmann freier, die extremen, manieriert klingenden Pianissimi sind
verschwunden zugunsten einer ausgewogeneren Stimmführung. An den wenigen
Stellen, beispielsweise im Liebeduett und am Ende, wo Otello so etwas wie
Kantabilität vergönnt ist, bringt Kaufmann sein wunderbares Legato und den
langen Atem zum Einsatz und lässt seine Stimme strömen. Eine großartige
musikalische Gestaltung, die Verdis Partitur sehr ernst nimmt basiert.
In Anja Harterosals Desdemonahat er eine kongeniale Partnerin, was das
Ausreizen der stimmlichen und darstellerischen Möglichkeiten angeht. Ihre
Stimme ist nicht mehr so engelsgleich wie noch zu Zeiten ihrer
Troubadour-Leonore, eine gewisse Schärfe bei manchen Höhen und ein leichtes
Vibrato haben sich eingeschlichen. Beides war allerdings bei der Premiere
noch deutlicher zu hören, als in der hier beschriebenen dritten Vorstellung.
Nichtsdestotrotz gerieten das Finale des dritten Aktes und der komplette
vierte Aktzu Gänsehautmomententen dank ihrer musikalischen Gestaltung. Wobei
im Finale des dritten Aktes auch die Regie dazu beitrug: der dunkel
gekleidete Chor erstarrt und wendet sich ab, nur noch die am Boden liegende
Desdemona ist beleuchtet und beginnt zu singen, ihre Stimme erhebt sich über
der des einsetzenden Chores. Eine der packendsten Ensembleszenen von Verdi.
Die dritte Hauptfigur in diesem Kammerspiel, Jago, wird von Gerald
Finley verkörpert. Er ist, wie im Grunde auch Jonas Kaufmann, entgegen der
Besetzungstradition ein eher lyrischer Jago, ein Bösewicht der leisen Töne
und der schillernden Farben. Kein augenrollender, offensichtlicher
Bösewicht, sondern ein charmanter Soziopath, der selbst überrascht zu sein
scheint, wie einfach er die Menschen und vor allem Otello manipulieren kann.
Nachdem er das entdeck hat, scheint er es regelrecht zu genießen. Finley
singt ihn mit viel Weichheit in der Stimme, hinter der sich aber auch eine
gefährliche Schärfe versteckt. Die kommt im berühmten „Credo“ erst ganz am
Ende zum Vorschein, dann donnert er aber sehr machtvoll das „E
vecchiafolailciel“ – „der Himmel ist ein Märchen“ ins Haus.Er erntet zu
Recht den größten Beifall nach Petrenko.
Evan LeRoy Johnson ist ein
schönstimmiger Cassio, ein lyrischer Tenor der aufhorchen lässt. Ebenso das
Ensemblemitglied Galeano Salas, der die undankbare Rolle des Roderigo hat.
Milan Siljanov brilliert als balsamisch singender Montano, nicht ganz auf
dieser Höhe ist Bálint Szabo als Lodovico, er bleibt etwas blass. Rachael
Wilsonsingt mit schönem Mezzo eine selbstbewusste Emilia.
Besonderes
Lob verdienenChor und Kinderchor der Bayerischen Staatsoper:
außergewöhnliche Textverständlichkeit und große Präzision prägen die
Chorszenen, auch hier werden die Dynamikvorgaben des Komponisten von fast
unhörbar bis donnernd präzise befolgt.
Das alles wäre aber nichts
ohne einen Dirigenten wie Kirill Petrenko, der Niermeyers Konzept nicht nur
voll mitträgt, sondern kongenial umsetzt. In der Einführungsmatinee hatte er
gesagt, dass er den Autograph Verdis studiert hätte und sich bei
Abweichungen für die komplexere Variante des Notentextes entschieden hätte.
Und so rasen, nach dem das gesamte Gebäude erschütterndem, dissonanten
Auftaktakkord, die Sechzentel der Gewittermusik in irrem Stakkato dahin. Von
diesem Fortissimo-Beginn bis zu kaum hörbarem Piano reicht die dynamische
Palette, was er dem Bayerischen Staatsorchester an Transparenz und
Zwischentönen entlockt, erstaunt immer wieder. Es gab auch viel
Kammermusikalisches zu entdecken in diesem Otello. So erntet er wieder
einmal den größten Jubel.
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