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Welt, 24.11.2018 |
Von Manuel Brug |
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Verdi: Otello, Bayerische Staatsoper, ab 23. November 2018
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Shakespeares Tragödie als politisch korrekte Zimmerschlacht |
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Große Erwartungen – Amélie Niermeyers „Otello“ kommt nach München. Mit Jonas Kaufmann als Otello und Anja Harteros als Desdemona. Aber ein „Otello“ ohne jeden Willen zur Verstörung? Wie soll das gehen? |
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Jonas Kaufmann singt Otello. Der Tenorissimo unserer Zeit in der größten
(italienischen) Rolle jemals. Da sind wir also wieder. Eineinhalb Jahre
später. Was im Juni 2017 mit sechs Aufführungen am Royal Opera House Covent
Garden in London begann, setzt sich nun an der Bayerischen Staatsoper in
München als Heimspiel fort. Besser geworden ist es freilich nicht. Noch
immer ist das in Maßen enthusiasmierte, sich nur langsam applaussteigende
Premierenpublikum mit einem seltsamen Widerspruch konfrontiert.
Da
spielt einer grandios einen ausgebrannten Typen, in ihm ist Leere statt
Liebe, Verkrampfung statt Nonchalance, Unsicherheit statt Souveränität. Er
krümmt und duckt sich, wütet, rast bisweilen und ist doch immer nur ein
Würstchen. Und so klingt er auch, dumpf, monochrom, schon das anfängliche
„Esultate“, der heroische Jubelruf des Löwen von Lepanto, der nun auch noch
den bis eben tobenden Meersturm vor seiner zyprischen Festung überstanden
hat, tönt fahl, ohne Siegesgewissheit. So geht es weiter, die Stimme bricht
fast im Piano, scheint sich nach innen zu wenden, ist ausgeglüht.
Psychologisch mag das stimmig sein, aber tönt so ein Tenor-Feldherr?
Natürlich, der alte Giuseppe Verdi hat da einen faszinierend gebrochenen
Helden geschaffen, eine waidwunde Raubkatze. Aber um den zu demontieren,
muss er erst einmal aufgerichtet werden.
Desdemona als liebende,
störrische Frau Und das versagt sich und uns die Regisseurin Amélie
Niermeyer total. Ganz im Regietheaterkonsens unserer ausgenüchterten Zeit
ist ihr Otello ein unauffälliger Normalo in der monochromen Uniform eines
Paketboten. Seine Desdemona erweist sich als liebende, störrische Frau, die
auch ihre Ansprüche hat und den heimkehrenden, kriegstraumatisierten, sich
nicht artikulierenden Mann nicht verstehen will oder kann. Natürlich ist
dieser „Moro“ auch kein Schwarzer oder Nordafrikaner, jede rassistische oder
politische Dimension, die bei Shakespeare noch sehr Renaissance-zeitgeistig
stark ist, bei Verdi/Boito schon abgeschwächt wurde, scheint hier
ausradiert.
In München, in den immer wiederkehrenden, als
Bildmetapher ausgelaugten, weil ewig gleichen, großbürgerlich kahlen Salons
Christian Schmidts, findet eine vieraktige Zimmerschlacht als extensive
Paartherapie statt. Die sich um die eigene Achse dreht, von
Video-Zoomfahrten zusätzlich paralysiert wird. Schon das im Profil
platzierte, immer anwesende Ehebett, das an eine freudianische
Psychiatercouch gemahnt, ist ein optischer Wink mit dem Zaunpfahl.
100 Shades of Hammershøi Grey. Kein Schwarz, kein Weiß, aber viele, fein
abgestufte Grautöne, wie bei dem dänischen Maler rätselhaft melancholischer
Interieurs. Angefangen mit den in ihren ostentativen Kontrasten sich
abwechselnden, mal extrem weiblichen, in der definitiven Erniedrigung des
großen Chortableau im dritten Bild freilich mit einem maskulinen Hosenanzug
aufwartenden Desdemona-Kostümen Annelies Vanlaeres. Hier stäubt die
erkaltete Asche eine Beziehung, bei nur noch ein sich den Arm am Kaminfeuer
ansteckendes Desdemona-Double Funken sprüht, aber definitiv keine
italienische Eifersuchtsoperntragödie.
Dafür erleben wir einen
skandinavischen Mittelstand-Ehekrieg als Partnerduell à la Ibsen,
Strindberg, Bergmann, sehr konzeptlastig, schon im ersten Bild, das als
Zimmer im Zimmer die um den Mann bangende Desdemona zeigt. Ihr Sturm der
Gefühle tobt im Inneren, auch längst so ein Regieklischee. Das am Ende, zur
Ermordung, wiederkehrt.
Hier hat ein Jago leichtes Spiel. Und man
wundert sich nicht, dass Verdi mit dem Gedanken spielte, die Oper nach
dieser dritten, sinistren Hauptfigur zu nennen. Der ungemein präsente,
genaue, nuancenreiche Gerald Finley ist ganz schnell der Star: ein Jongleur
des Bösen aus dem Geist der Commedia dell’Arte. Im Schlabbershirt, mit
Streifenhosen, Sneakers und satansroten Socken ein teuflisch-galanter
Verführer. Seinem Kavaliersbariton fehlt vokal die Schwärze, die Wucht, der
Nihilismus. Er macht das durch zynisch wache Varianz und bewusste
Textausdeutung wett. Immer wieder bettet er seinen Kopf in dem Schoß
Otellos. Lief da mal was? Oder ist es nur Projektion? Einer der vielen,
diffus bleibenden, letztlich kleinlichen Deutungsversuche Niermeyers.
Kein Italiener auch in der Restbesetzung. Die gut aufgelegten Chöre
schmettern effektbewusst, so wie die Trompeten. Die immer noch anrührende,
oft gehörte Desdemona der Anja Harteros hat inzwischen metallische Schärfen,
ihr Timbre eine hier deutungsgerechte Härte und Herbheit bekommen.
Vorangetrieben, an der kurzen Leine gehalten, extrem verlangsamt und ebenso
beschleunigt wird sie von Kirill Petrenko. Der peitscht das Staatsorchester
wie die Massen so vehement und knallig durch den blitzezuckenden,
trommeldröhnenden Auftakt, dass der Lüster klirrt.
Ein infernalischer
Instrumentalfuror, der sich mit leise tastenden, lauernden Suspense-Momenten
abwechselt. Immer wieder beschwört Petrenko gestenausgreifend die
apokalyptischen Verdi-Extreme, nur tanzende Feuerraffinesse und gustiöser
Trinkreigen, amouröse Wärme des ersten Duettfinales, die trügerische
Mandolinensonne im diesmal gendergestörten Idyll des zweiten Bildes,
Resignation, verlorene Seelentrübnis des letzten Aktes, die findet sich
nicht. Alles ist grell, zugespitzt, überzeichnet, schroff – ein brillanter,
aber holzschnitthaft teutonischer Verdi in der vibratolos-harten,
antikulinarischen Fritz-Busch-Tradition der Zwanzigerjahre.
Besonders in München als Traumpaar gefeiert, haben Anja Harteros und Jonas
Kaufmann hier bisher in einer Wagner- und fünf italienischen Opern das Haus
zum Beben gebracht. Die Bayerische Staatsoper ist das Epizentrum dieser sehr
besonderen Sopran-Tenor-Konstellation. Der „Otello“ hätte jetzt als vierter
Verdi-Pas de deux die Apotheose ihrer feinen Vokalbeziehung werden können.
Es geriet eher zum Schwanengesang. Mit einer herben Spröden, die ihn nicht
ranlässt, obwohl sie seine Nähe sucht. Und mit einem gereiften Frauenschwarm
als Herr Niemand im lockenlos grauen Haar. Gemeinsam ratlos.
Nicht
schwarz, nicht weiß, nicht grau Es spricht für beide, dass sie sich hier
als große Singschauspieler in den Dienst einer allzu einseitigen Deutung
stellen. Die ist sauber, clean, aseptisch. Nicht verstörend, hart, politisch
unkorrekt, wie jene Luc-Perceval-Inszenierung, mit der 2003 in der radikalen
Neuübersetzung und Shakespeare-Zuspitzung Feridun Zaimoglus auf der anderen
Maximilanstraßenseite Frank Baumbauer seine Kammerspiele-Intendanz eröffnet
und der leider längst dem Theater abhandengekommene Thomas Thieme einen
verschmierten „Schoko“ auf die Bühne gewuchtet hat. Dagegen ist der aktuelle
Münchner Opern-Otello ein paralysierter Staubsaugervertreter. Nicht schwarz,
nicht weiß, nicht grau. Nur mau. |
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