Abendzeitung, 25.11.2018
Robert Braunmüller
 
Verdi: Otello, Bayerische Staatsoper, ab 23. November 2018
Verdis "Otello" mit Jonas Kaufmann im Nationaltheater
 
Manchen war die Aufführung nicht italienisch genug. Andere hörten Schärfen in der Stimme von Anja Harteros und ein zu lautes Orchester. Wiederum andere meinte, Amélie Niermeyers Inszenierung tue niemandem weh. Und selbst wer am neuen „Otello“ der Bayerischen Staatsoper nichts auszusetzen hatte, vermisste wenigstens die unter einer aschbraunen Kurzhaar-Perücke verschwundenen Locken von Jonas Kaufmann.
 
Keiner dieser Einwände ist völlig von der Hand zu weisen. Es dürfte auch außer Frage stehen, dass Kaufmann – gemessen an Giovanni Martinelli, Jon Vickers, Placido Domingo oder Johan Botha – kein idealer Otello ist. Doch die Herren stehen halt nicht mehr zur Verfügung. Und dass Kaufmann nicht strahlt, stellt die Aufführung – zusammen mit den anderen Schwächen – so schlüssig in den Dienst einer übergreifenden Deutung, dass sie sich in lauter Stärken verwandeln.
Das macht die Aufführung so aufregend, und man mag sich nur ungern vorstellen, was aus ihr werden soll, wenn sie später einmal im Repertoire umbesetzt wird.

Szenen einer kaputten Ehe
In der Premiere passte alles ideal zusammen, weil Amélie Niermeyer die Beziehungskrise eines nicht mehr jungen Paares im mittleren Alter inszenierte. Ihre Liebe zerbricht, weil Otello nach der von Desdemona ersehnten Rückkehr plötzlich verändert wirkt. Im Duett weist er, traumatisiert von der Schlacht, ihre Zärtlichkeit lange zurück, was an eine Urszene der europäischen Kulturgeschichte erinnert: Odysseus, der sich seiner Penelope durch den Krieg entfremdet hat. Dann kämpfen Anja Harteros und Jonas Kaufmann in einem kalten großbürgerlichen Ambiente Szenen einer ruinierten Ehe aus, die auch von Ibsen oder Ingmar Bergman stammen könnten.

Zu dieser Sicht passen reife Stimmen besser als strahlend frische. Harteros stellt eine etwas naive, behütete und unbedingt an die Liebe glaubende Frau auf die Bühne. Kaufmann singt und spielt einen innerlich gebrochenen Mann, der Jähzorn nicht kontrollieren kann und bereits im nächsten Moment wieder bereut. Genau das lässt sich nur mit einer baritonalen Stimme und einem verhangenen Timbre erzählen.

Der eine oder andere Ton war nicht für Puristen gesungen. So richtig passt Kaufmanns Stimme erst ab „Dio mi potevi scagliar“ im dritten Akt, wenn Verdi eine „erstickte Stimme“ und dramatischen Sprechgesang verlangt. Spätestens ab hier beweist die Aufführung, wie viel mit den Mitteln des guten alten psychologisch-realistischen Theaters erreicht werden kann, wenn sich Sänger als Sängerdarsteller begreifen.

Sturm im Zimmer
In diesem Punkt ist Gerald Finley als Jago noch eine Klasse besser als die beiden Protagonisten. Der Kanadier versteht die Figur als irrlichternden Einflüsterer, der spielerisch probiert, wie weit er gehen kann. Auch da befinden sich Stimme und Darstellung völlig im Einklang. Finley hat etwas böse Clowneskes, das sich im virtuosen Wechsel seiner Stimme zwischen Weichheit und Härte, Kraft und lyrischer Feinheit, tenoraler Höhe und Schwärze spiegelt.

Dank Niermeyers klarer Inszenierung wird auch verständlich, was die kleineren Rollen umtreibt. Von Cassio (Evan LeRoy Johnson) über die starke Emilia (Rachael Wilson) bis zum durch sein gewagt geblümtes Hemd treffend charakterisierten Rodrigo (Galeano Salas) steht ein perfekt aufeinander abgestimmtes Ensemble auf der Bühne (Kostüme: Annelies Vanlaere).

Der emotionale Sturm findet im Zimmer und im Herzen Desdemonas statt. Niermeyer zeigt virtuos, wie Cassio betrunken gemacht wird und wie in einer Art Krimiballett das Taschentuch in die Hände Jagos gerät. Die symbolische Aufladung der offenen Kamine, die brennende Desdemona im Chor „Fuoco di gioia“ und ihr vorweggenommenes Begräbnis im zweiten Akt wirkt ebenso wie die Dopplung des Raums (Christian Schmidt) allerdings ein wenig forciert.

Erzählendes Orchester
Die Psychologisierung der Geschichte auf der Bühne spiegelt sich im Orchester. Kirill Petrenko entfesselt mit dem Bayerischen Staatsorchester ein gewaltiges Gewitter im Requiem-Format. Es ist sehr laut. Aber eben auch unglaublich transparent, genau nuanciert und durchhörbar. Auch bei Verdi legt sich dieser Dirigent über jede Note genau Rechenschaft ab. Aber die intellektuelle Durchdringung der Partitur schlägt immer wieder in eine bewegende Emotionalität um. Denn alles, was sich im Orchester ereignet, ist Teil des Dramas, das am Ende in eine tiefe, fast depressiv-melancholische Trauer mündet.

Und, fast hätten wir es vergessen: Der Held ist weiß. In einer psychologisch-realistischen Inszenierung, die das Drama aus der Konstellation der Figuren heraus erklärt, wäre das „Blackfacing“ mit dunkler Gesichtsschminke ein Fremdkörper. Das hat nichts mit Political Correctness zu tun. Es wirkt so zwingend, dass es überhaupt nicht auffällt.



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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