Schwäbische, 27.11.18
KLAUS ADAM
 
Verdi: Otello, Bayerische Staatsoper, ab 23. November 2018
Ein packender Opernabend ist „Otello“ am Nationaltheater in München
 
Begeistert aufgenommen wurde Amélie Niermeyers Inszenierung von Verdis „Otello“ an der Bayerischen Staatsoper. Jonas Kaufmann und Anja Harteros als unglückliches Liebespaar, vor allem aber auch Gerald Finley in der Rolle des Intriganten Jago sangen glänzend. Das Orchester unter Kirill Petrenko spielte bravourös.
 
Arrigo Boitos Skizze des Librettos nach Shakespeares „Otello“ muss Verdi fasziniert haben: Noch vor der ersten Note informierte er seinen Verleger Ricordi über das „Schokoladenprojekt“. Bei der Neuinszenierung am Nationaltheater München ist daraus eine „cioccolata bianca“ geworden. Political correctness hat nicht nur den „Mohr im Hemd“ zur Abwanderung aus Konditoreien bewogen, sondern ließ auch die Met in New York 2015 erstmals auf die schwarze Schminkdose bei weißen Otello-Darstellern verzichten. Regisseurin Amélie Niermeyer ist überzeugt, dass die bisherige Praxis als „latenter Rassismus dechiffriert ist“.

Traumatisiert vom Krieg
Sie sieht in Otello den epochalen Kriegsherrn, unabhängig von seiner Hautfarbe. Er ist einer, der schreckliche Kriegsgräuel erlebt hat. Heute würde man sagen, Otello leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, die auch die Beziehung zu Desdemona überschattet. Das berühmte Liebesduett wird von Anja Harteros und Jonas Kaufmann traumschön gesungen. Freilich stellte sich die Ergriffenheit, die uns einst Mirella Freni und Placido Domingo haben erleben lassen, nicht ein.

Beraubt man Otello seiner Hautfarbe, beraubt man ihn einer Dimension. Es ist doch ein erotisches Mysterium, das sich im Bund des Schwarzen mit der Lichtgestalt der Jeunesse dorée Venedigs vollzieht. Die Political correctness verkleinert auch Desdemona: Welche Patrizierin hätte um 1600 die Ehe mit einem Schwarzen gewagt?

Sturm im Einzelzimmer
Diesen Mut anerkennt die Regisseurin. Desdemona ist kein abenteuerlustiges Geschöpf, von Gefühlen irregeleitet, kein Opferlamm, sondern eine selbstbewusste Frau, die den Mann ihrer Wahl liebt und ihm auf gleicher Höhe begegnen will. Dazu gehört auch die vor einer anderen Farbe nicht zurückschreckende Menschenliebe, allumfassend wie der Einsatz für den ungerecht behandelten Cassio, mit dem sie ihr Schicksal heraufbeschwört.

Der Sturm zum Auftakt des Werkes wird szenisch nicht deutlich. Statt eine aufgeregte Menge am Hafen Zyperns zu beobachten, müssen wir uns begnügen, „dass Desdemona die Stimmung im Raum miterlebt“. Apropos Raum: Der Bühnenbildner Christian Schmidt scheint Probleme mit der Welt außerhalb eines Hauses zu haben. Er beschränkt sich bei „Otello“ auf karg möblierte Zimmer verschiedener Größen mit Liegen und Sesseln, auf denen Jago seine homosexuellen Neigungen, der Bühne eines bayerischen Staatstheaters entsprechend, nur sehr dezent andeutet.

Die dezimierte Spielfläche zwingt den Chor in seltsame Positionen. Aufgereiht im Dunkel an der Bühnenrampe erzählt er, was das aufgepeitschte Meer so alles macht, aufregend setzt das bravouröse Orchester dank hochdramatischer Anfeuerung durch Kirill Petrenko Verdis Orkanvisionen um. Mit Chorszenen wird sich Amélie Niermeyer noch befassen müssen. Meisterlich hingegen, weil musikalisch empfunden, ist ihre Personengestaltung. Sie erzählt die Geschichte so interessant, dass sie auf Mätzchen verzichten kann.

Für Jonas Kaufmann dürfte Otello vokal eine Grenzpartie sein. Packend setzte er die Regieidee des Traumatisierten um. Eine Glanzleistung: Gerald Finley als Jago. Er ist kein hämischer Intrigant, sondern ein elegantes Genie der Gemeinheit.

Stern des Abends war Anja Harteros, berückend als Liebende mit beseelter Intensität, überraschend in den Auseinandersetzungen, tief bewegend im todesnahen Lied von der Weide, im Gebet. Die Idylle vor der Katastrophe.


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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