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Hamburger Abendblatt, 18.07.18 |
Joachim Mischke |
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Konzert, 17. Juli 2018, Neumünster, Schleswig-Holstein Musik Festival
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Wie eine Droge – Jonas Kaufmann berauscht Neumünster |
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Jonas Kaufmann mit französischen Arien
Gerade noch auf der Waldbühne, jetzt in der Holstenhalle: Der Startenor
singt Wagner-Hits, französische Arien und baut die Bühne um.
Neumünster. Über die berühmt-berüchtigten Freundlichkeitsdefizite der
Sopranistin Kathleen Battle gibt es die ebenso schöne wie gemeine Anekdote,
sie habe einmal aus einer Limousine mit Klimaanlage heraus ihr Management
angerufen, damit jemand von dort aus ihren Fahrer anweist, jetzt mal subito
die Lüftung zu drosseln.
Ganz, aber wirklich ganz anders verhielt
sich der Publikumslieblingstenor Jonas Kaufmann in der Holstenhalle
Neumünster vor seiner zweiten Arie: Gemeinsam mit seinem Dirigenten Jochen
Rieder schob er eigenhändig dessen Podest etwas weiter nach hinten, damit
die Besucher im sehr seitlichen Seitenrang nicht nur Rieders Rücken sondern
ihn im Blickfeld hatten. Eine von Herzen nette Geste, aber auch ein Indiz
für etwas anderes: Das Auge soll tunlichst immer mithören, wenn dieser Tenor
auftritt und verlässlich Begeisterungsstürme auslöst.
und
Wagner-Hits
Gerade noch auf der Berliner Waldbühne und im
Fernsehen präsent, vor allem mit italienischem Repertoire, einer
Begleit-Mezzosopranistin und einer Mitschnitt-CD für Herbst schon in Arbeit,
präsentierte sich Kaufmann nun, bei seinem ersten Konzert im Rahmen des
Schleswig-Holstein Musik Festivals, ganz und gar solo. Mit französischen
Arien vor und einigen Wagner-Hits nach der Pause.
Ein
Live-Wiederbeleben seiner L’Opera-CD aus dem vergangenen Jahr also. Auf den
ersten Blick eine durchaus interessante, herausfordernde Kombination aus
heiklen Stil-Gegensätzen; gerade erst hat der französische Tenor-Kollege
Roberto Alagna den Bayreuther Festspielen sehr kurz vor knapp einen
Lohengrin-Korb gegeben.
Ausdruckswille überholt dann
Gestaltungslust Denn Kaufmanns unbestreitbar faszinierendes
Können bewältigt zwar viele Aufgaben, wird damit aber nicht immer allem
gerecht. Er hat schon etliches gesungen: deutsches Repertoire, italienisches
und französisches, Operette, Canzoni, Verdi, Puccini, Verismo, Wagner,
gerade erst sogar einen Parsifal in München; in Hamburg war er zuletzt mit
Hugo-Wolff-Liedern in der Elbphilharmonie und bei einer illustren
Tosca-Aufführung in der Staatsoper zu erleben, gänzlich problemfrei war
beides nicht gewesen. Mit der samtigen, baritonalen Eindunklung seiner
Stimme, die ihr gleichzeitig immer mehr Kernigkeit verleiht, wurde es
schwerer und schwerer, diesen eleganten, wie mühelos ausschwingenden,
raffiniert weichen Charmeur-Tonfall zu treffen und zu halten, ohne den
gerade französische Romantik schnell etwas Gewolltes bekommt und das
Geschmeidige verliert. Ausdruckswille überholt dann Gestaltungslust.
Die Stimme steht präsent im Raum Hier jedenfalls wurde
man den Eindruck nicht los, dass Kaufmann bei allem Spaß und aller Hingabe
ein wirklich harter Arbeiter ist. Was nicht sofort, unmittelbar und bestens
passt, wird dann eben auf sehr hohem Niveau passend gemacht. Die Stimme
funkelt dann nur bedingt, sie steht aber präsent im Raum und macht ungemein
viel her. Sie verführt dabei nicht instinktiv, sondern überzeugt durch ihre
Qualitäten. Die jeweils kurz angesungenen Charaktere wechselten, die
generelle Wirkung blieb unverändert: Hier stehe ich und ich will es so. Und
da Kaufmann natürlich längst weiß, was wie punktet, stellte er die größte
saftig schmachtende Power-Ballade dieser Kollektion – das „Ô souverain, ô
juge, ô père“ aus Le Cid – ans Ende.
Pause, Durchatmen, Fachwechsel.
Nun war Kaufmann ganz und gar markig auftrumpfender Heldentenor, nun durfte,
konnte, musste er es sein. Auch den Symphonikern Hamburg war, so klang es,
die Geradlinigkeit Wagners herzens- und wesensnäher als die
Spezialanforderungen und subtilen Klangfarbschattierungen in den Opern von
Gounod oder Massenet. Im französischen Abschnitt des Konzerts hatte das
auch am Ende einer langen und kräftezehrenden Spielzeit noch nicht schlapp
machende Orchester mit Saint-Saëns’ Bacchanale aus Samson et Dalila oder
Chabriers Habanera einige luftig amüsante Baisers aufzutischen. Als
Begleitung bei der Blumenarie aus Carmen oder einer Romeo-Arie aus Gounods
Roméo et Juliette sorgen sie für eine angemessene Umrahmung des Solisten.
All das kann bei solchen Konzert-Formaten auch viel uninspirierter
passieren.
Walkürenritt pauschal heruntergewagnert
Nach dem Walkürenritt – von Rieder allerdings etwas pauschal
heruntergewagnert – holte Kaufmann zum ersten Mal groß aus, mit Siegmunds
„Ein Schwert verhieß mir der Vater“ und prächtig strahlenden, kraftstrotzend
trotzigen Wälse!-Rufen, die nur so eine Art hatten. Und erahnen ließen, wie
viel Präsenz und Überzeugungskraft Kaufmann haben kann, wenn er etwas singt,
das ihm derart gut in die Stimme passt.
Nächste Wagner-Station:
Nürnberg, Meistersinger, alle einsteigen und tief in die Musik fallen
lassen. Nach dem Orchester-Vorspiel zum 1. Akt, ebenfalls handwerklich
solide abgeliefert, glänzte Kaufmann mit Stolzings Preislied Morgenlich
leuchtend im rosigen Schein: tolle, ausdrucksstarke Höhe, eine unmittelbare
Charakterprägung, die schon in dieser Handvoll Minuten reinsten
Wagner-Glücks zeigt, dass hinter dieser einen Arie ein Individuum mit
Charisma, Ecken und Kanten erkannt wurde. Bei den Franzosen der ersten
Konzert-Halbzeit waren es eher eingeübte Stereotypen gewesen.
Anrührend märchenhafte Gralserzählung Je später dieser
Abend, desto wonniger der Wagner, und die Holstenhallen-Akustik wurde
unerheblich. Eine Woche vor der Bayreuther Lohengrin-Premiere mit Piotr
Beczala in der Titelpartie zeigte Kaufmann mit seiner Version der
Gralserzählung klar, wo dieser Rätsel-Ritter seiner Meinung nach den Schwan
holt. Das war so überzeugend und so anrührend märchenhaft, dass ein
gesamtes Orchester sich beim "In fernem Land" von dieser Stimme führen und
verführen ließ. Der schönste Moment? Die Textstelle, in der Kaufmann das
Wort Taube mit einem Pianissimo als einen Höhepunkt markierte, den er lang
und sanft auskostete, wie das Gottesgeschenk, um das es hier geht. Die Droge
wirkte. |
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