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Online Merker, 28.10.2018 |
Renate Wagner |
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Puccini: La Fanciulla del West, New York, Metropolitan Opera, 27. Oktober 2018
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NEW YORK / Die Met im Kino: LA FANCIULLA DEL WEST |
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Puccini, das ist im allgemeinen das goldene vierblättrige Kleeblatt von
Boheme / Tosca / Butterfly und Turandot. Wenn sich ein anderes Werk dazu
schleicht, ist es wohl die Manon Lescaut. Der Rest, und dabei handelt es
sich ohnedies nur um das „Trittico“ und die „Fanciulla“, („Villi“, „Egar“
und „Rondine“ schaffen es wohl nicht mehr auf die Bühnen), wird von Zeit zu
Zeit hervorgeholt. Vor allem „La fanciulla del West“, wenn auch vom Publikum
mäßig geliebt – vielleicht weil es so lange dauert, bis sich im ersten Akt
etwas tut, bis dahin ist die Handlung unübersichtlich und nicht sehr
spannend, vielleicht auch, weil es weit weniger süßlich oder auch
musikalisch reißerisch ist wie Puccini sonst. Aber wer immer sich mit dem
Werk als Interpret auseinandersetzt, lobt es in den höchsten Tönen – in den
Pausen der Aufführung der Metropolitan Opera tat es nicht nur Dirigent Marco
Armiliato, sondern auch Jonas Kaufmann, und Eva-Maria Westbroek erklärte es
gar zu ihrer persönlichen Lieblingsoper.
Das kann man ja nun auch
verstehen. Die Minnie ist, so wie sie sie anlegt, wirklich eine wunderbare
Figur. Nicht die „Mutter der Kompagnie“, wie resolutere Kolleginnen die
Kneipenwirtin im Wilden Westen im ersten Akt hinstellen. Das ist einfach
eine sympathische junge Frau, von deren Komplexen – dass sie nicht klug und
bedeutend sei – wir eine Menge erfahren und es rührend finden. Im zweiten
Akt ist komprimiert unendlich vieles zu spielen, zitternde Verliebtheit,
Entschlossenheit zur Hingabe, die elementare Enttäuschung, als sich
herausstellt, dass der Liebste ein Räuberhauptmann ist, und schließlich doch
das Bekenntnis zu dieser Liebe, als er verwundet in ihren Armen liegt. Und
der erste Knalleffekt: Das Pokerspiel mit dem Sheriff um sein Leben… Und im
dritten Akt schneidet sie sich ihren Geliebten regelrecht vom Galgen und
beschwört, besänftigt, betört eine wilde Männerschar, die ihr quasi in
hoffnungsloser Ergebenheit zu Füßen sinkt.
Das muss man spielen, und
Eva-Maria Westbroek tut es so nuanciert wie leidenschaftlich – und
schmettert dabei eine Hochdramatik, die Turandot-gleich ist, nur viel länger
und wilder. Eine Partie, die nicht jede Sängerin sowohl darstellerisch wie
vokal so packen kann wie diese Holländerin, die ungeachtet ihres wahren
Alters die Reinheit und auch Jungmädchenhaftigkeit der titelgebenden
„Fanciulla“ verströmt,
Denkt man an Cavaradossi und Kalaf, ist der
Dick Johnson vielleicht nicht gerade eine Wunschpartie für Tenöre – und
hätte Caruso den Komponisten Puccini vor der Uraufführung nicht
diesbezüglich genervt, hätte er gar keine große Arie, wie Jonas Kaufmann
erzählte. Er ist für diese Rolle an die Met zurückgekehrt, vergeben und
vergessen, dass er das Haus für „Tosca“ sitzen gelassen hat (nicht er
allein, aber dennoch), ausgeräumt falsche Zitate, er wolle eigentlich gar
nicht nach New York kommen, und ein sehr kluger, großzügiger Operndirektor
namens Peter Gelb, der meinte, besser man habe Kaufmann für wenige
Vorstellungen als gar nicht. Die ersten hat nämlich Yusif Eyvazov als
Stellvertreter gesungen – klar, er war ja in New York, wenn Gattin Anna an
der Met gerade als Aida triumphierte. Aber gewartet haben alle nur auf Jonas
Kaufmann. Zu Recht.
Zumindest in dieser letzten Vorstellung, die dann
traditionsgemäß jene ist, die in den Kinos weltweit übertragen wird, hat er
sich selbst übertroffen. Es ist ja nun auch, wenn man die Nerven behält,
eine ungeheure Chance, einem Millionenpublikum (von vier Millionen weltweit
ist die Rede?) in 70 Ländern zeigen zu können, was man kann und wer man ist.
Nämlich Jonas Kaufmann, der Besten und, sagen wir’s doch, auch der Schönsten
einer, die heute auf Opernbühnen stehen. Nun kam seinem Dick Johnson auch
die ungeheure Chemie mit seiner Partnerin zugute, die keine leere Behauptung
war, sondern spürbar von der Leinwand sprang – die Liebesszenen der beiden,
zumal im zweiten Akt, sprühten vor Erotik, Anziehung, Begehren, und man
glaubte ihm völlig – in besagter Arie im letzten Akt -, dass seine Gedanken
nur Minnies Wohl galten. Eine Liebesarie, in die das Publikum hingerissen
hineinklatschte, weil man keine Generalpause für Applaus eingelegt hatte.
Kaufmann liegt der Verismo (neben Wagner) am besten, da muss er sich nicht
mit Legato und Belcanto plagen, außer ein paar Piani bedarf es auch keiner
besonderen Finessen, er kann, auf seiner Mittellage basierend, kraftvoll
drauf los singen und hatte einen goldenen Abend, was die Spitzentöne betraf.
Er und Eva-Maria Westbroek ergaben ein absolut mitreißendes Paar. Ja, er hat
es wieder einmal bewiesen, was er kann und wer er ist.
Zeljko Lucic
sang seinen ersten Jack Rance und war überzeugend wie selten – vielleicht
auch, weil er den Sheriff nicht als „bösen Brunnenvergifter“ und folglich
als Klischeefigur anlegte, sondern vor allem als den Mann, der Minnie liebt
und der an der Niederlage, sie nicht zu bekommen, schwer trägt. Es ist eine
Oper, die vor allem geschrien werden will, und es mangelt ihm wirklich nicht
an Kraft, aber dennoch hat Lucic zuerst und vor allem eine starke,
beeindruckende Figur hingestellt.
Die „Fanciulla“ wurlt geradezu in
ihrer Personenfülle, was ihr gar nicht gut tut – man würde sich lieber für
weniger Leute interessieren und für die genauer, aber im Zweifelsfall hat
Puccini natürlich immer recht. Man nehme nur zwei Figuren heraus, die sich
stark profilieren – der Italiener Carlo Bosi als Nick, anteilnehmender
Barkeeper mit starkem Tenor und (Kunststück unter lauter Nicht-Italienern)
einer bemerkenswert klaren Diktion. Und Michael Todd Simpson, verdientes
Ensemblemitglied der Met (mit kleineren Rollen, gelegentlich aber auch
Escamillo), formte den Sonora nicht nur mit schönem Bariton, sondern auch
mit schöner Rollengestaltung – noch einer, der hoffnungslos in Minnie
verliebt ist.
Marco Armiliato hat die „Fanciulla“ 2017 in Wien noch
mit Partitur dirigiert – als Ausnahme, weil man weiß, dass er immer zu einem
leeren Pult geht und offenbar das komplette italienische Repertoire im Kopf,
im Herzen und in den Fingern hat. In der Met war er schon so weit, dieses so
unendlich komplizierte, kleinteilige Werk auch ohne Partitur zu dirigieren.
Dass man nicht das kleinste Problem, nicht das kleinste Missverständnis
hörte und er die Sänger immer wie auf Händen trug… na, wir wissen ja auch in
Wien, was wir an ihm haben.
Gespielt wurde eine alte Inszenierung von
Giancarlo Del Monaco (die man schon mit Deborah Voigt auf DVD kennt). Also
ehrlich – ein echter Western-Saloon ist einfach überzeugender als die
Wellblech-Siedlung, die Marelli uns in Wien auf die Bühne gestellt hat, und
auch sonst passt diese Western-Kino-Szenerie einfach perfekt zu dem Stück,
das man nicht hinterfragen muss: Was es zu erzählen hat, das erzählt es
schon von selbst. Dumm nur, dass Gastgeberin Susanna Phillips in den
Pausengesprächen ganz großartig das Pferd vorstellte, das für Minnie gedacht
sei, auch Jonas Kaufmann von seinem Pferd erzählte – und es dann im dritten
Akt weit und breit kein Pferd gab. Dabei hätte man gerade diesem Paar
wirklich gegönnt, in den Sonnenuntergang zu reiten… |
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