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bachtrack, 25 April 2018 |
Von Snapdragon |
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Giordano: Andrea Chenier, Wiener Staatsoper, 23. April 2018
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Revolutionsdonner und Stimmungskanonen: Andrea Chénier in Starbesetzung an der Wiener Staatsoper |
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Jonas Kaufmann und Anja Harteros, zwei seltene, aber umso liebere Gäste an
der Wiener Staatsoper, entzücken das Publikum schon jede/r für sich. Treten
sie zusammen auf, herrscht überhaupt Ausnahmezustand, sozusagen „Rock am
Ring“ für Opernfreunde.
Dies gilt umso mehr, wenn sich die beiden ein
mit eingängigen Arien prall gefülltes Werk vornehmen, von dem man weiß, dass
sie damit schon letztes Jahr in München für Furore sorgten. Gern wüsste man
in diesem Zusammenhang, was in den beiden vorgeht, wenn sie die
Rahmenbedingungen dort und da vergleichen: In der Münchner
Premierenproduktion wird der Titelheld zum Schluss guillotiniert – in Wien
geht es da um einiges harmloser zu.
Wie Otto Schenks originale
Inszenierung aus 1981 einst wirkte, wissen nur ältere Semester zu berichten.
Auf das Publikum heute wirkt sie inzwischen – wohl altersunabhängig – wie
aus der Zeit gefallen, ähnlich einer Revue aus den Siebzigern im
Fernseh-Hauptabendprogramm von heute. Von wegen Verismo; vor schäbiger
Kulisse ist in diesem Historienschinken alles blitzsauber, gebügelt und
gestärkt.
Aber so ist Umberto Giordanos Andrea Chénier selbst, ein
widersprüchliches Werk einer Stilrichtung, die mit Naturalismus und
Wahrhaftigkeit beeindruckt, und für die Verhältnisse des späten 19.
Jahrhunderts vielleicht sogar provozieren wollte. Denn eine Geschichte wie
jene, die Librettist Luigi Illica für seinen Tosca-Vorläufer ersonnen hat,
kann kaum wahr sein: Eine junge Adlige, Maddalena die Coigny, überlebt in
den Zeiten der Französischen Revolution dank ihres Dienstmädchens, das sich
prostituiert, um die wegen ihrer Reinheit und Schönheit geliebte Herrin zu
versorgen. Pech für Bersi, dass sich ihr Körpereinsatz nicht lohnt.
Maddalena glaubt, in dem Dichter Andrea Chénier einen Retter zu finden, und
landet doch mit ihm auf dem Schafott – und das freiwillig.
Bis zum
bekannten hochdramatischen Schlussgesang, bei dem Harteros und Kaufmann auch
dirigatbedingt alles aufbieten mussten, was Lunge und Stimmbänder hergaben,
war viel an vokaler Schönheit und feinsinniger Gestaltung zu hören. Anja
Harteros ist immer eine elegante Erscheinung, was sie für die Maddalena
geradezu prädestiniert. Niemals würde sie sich zu unangebrachtem Outrieren
hinreißen lassen, verleiht aber der zartesten Gefühlsregung ebenso wie dem
dramatischen Ausbruch eine große Wahrhaftigkeit. Auch dort, wo es hoch und
schwierig wird, bleibt sie immer stimmschön. Das berühmte „La mamma morta“
gelang ihr grandios, ihre stärkste Szene war jedoch jene, in der sie Chénier
in unschuldigem Piano anflehte, ihm zu helfen. Auch wenn ihr Kaufmann mit
großer Kunstfertigkeit, aus dem Nichts anschwellendem und klarem Ton
antwortete, war man fast aus einem Traum gerissen. In der Titelpartie
beeindruckte er mit seiner bekannt intelligenten Rollengestaltung, und sein
Gähnen im ersten Akt (vielleicht eine Solidaritätsbekundung mit dem Publikum
in puncto Inszenierung?) machte ihn sympathisch. Am besten gelang ihm
überraschenderweise „Si, fui soldato“, das er mit dem Brustton männlicher
Überzeugung sang.
Seine Stimme harmonierte bestens mit jener von
Harteros, und auch die spürbar gute Chemie zwischen den beiden tat das
Übrige zu einem gelungenen Abend, bei dem mit Ausnahme von „Come un bel dí
di Maggio“ alle populären „Hits“ ausgiebig beklatscht wurden – letzteres war
vielleicht Kaufmanns verhalten-poetischer Ausführung, eher aber der
Vorfreude des Publikums auf das baldige Finale geschuldet. Soloapplaus bekam
auch Roberto Frontali für sein vor Zynismus triefendes und doch wehmütiges
„Nemico della Patria“. Von den durchwegs gut besetzten Nebenrollen bot
Frontali neben Carlos Osuna als Incroyable die beste Leistung; Ilseyar
Khayrullova war eine etwas spröde Bersi, Zoryana Kushpler eine berührende
Madelon.
Von der musikalischen Leitung des Abends durch Marco
Armiliato werden in erster Linie die ruppigen, lärmenden Tutti in Erinnerung
bleiben, welche die Sänger vor unnötige Herausforderungen stellten. Das ist
schade, denn seinem Ansatz, die kräftig orchestrierten Orchesterstellen
episch breit und mit einer guten Dosis Drama anzulegen, konnte ich einiges
abgewinnen. Die lyrischen Momente gelangen anforderungsgerecht, am
überzeugendsten aber jene Stellen, wo mit Rhythmus Spannung erzeugt wird.
Selbstredend gefielen den Orchestermusikern die Freiheiten in puncto
Lautstärke, aber auch ansonsten zeigte man sich spielfreudig und
diszipliniert. Allein die Flöten, die in „La mamma morta“ den Brand von
Maddalenas Elternhaus illustrieren sollen, waren in ihrer Schrillheit ein
Ärgernis. Die Interaktion mit der Bühnenmusik unter der Leitung von Witolf
Werner funktionierte tadellos.
An diesem Abend wurde nicht nur
lautstark musiziert, sondern auch lautstark gejubelt. Ein Bravo gibt es auch
für die (wenn auch auf der Hand liegende) Idee, diese Oper zeitnah zu
Dantons Tod auf den Spielplan zu setzen – was einen reizvollen Kontrast
darstellt.
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