Online Merker, 24.04.2018
Peter Skorepa
 
Giordano: Andrea Chenier, Wiener Staatsoper, 23. April 2018
Wiener Staatsoper: Umberto Giordano ANDREA CHENIER
 
Nur wenige der angebotenen Repertoireaufführungen im Laufe einer Saison schaffen es, einen Aufmerksamkeitspegel zu erzeugen wie etwa dieser Chenier und meist sind es beliebte Paarungen an Sängern, die sich anbieten neue Publikumsschichten neugierig zu machen. Neidlos müssen die Damen und Herren Regisseure anerkennen, dass letztlich in der Kunstform Oper Stimmbänder das letzte Singen haben, jenes Unbestimmte an Gefühlsregung von der menschlichen Singstimme ausgeht und erst in zweiter Linie Regieeinfälle einem zu Diskussionen bewegen und das meist unangenehm.

Die Ausgangslage dieses Abends: Ein tatsächlich glamouröses Paar in einer peinlich veralteten Regie, einen Dirigenten, den Hans Weigel, dieses schon lange verblichene Kritikermonster Wiens wohl als Krawallmann bezeichnet hätte, so wie er einst Dimitri Mitropoulos bezeichnet hatte. Dazu frei nach Rosenkavalier: Die übliche Bagagi – was nichts Herabwürdigendes ist, sondern nach Hofmannsthal sehr wohl für gute alte Bekannte steht.

Mittelpunkt des Abends, obwohl in Konkurrenz mit einem leibhaftigen Tenor: Anja Harteros als Maddalena di Coigny, mit dem fühlbar feinen, wie aus dem Inneren kommenden Leuchten eines Stars ohne Allüre, fein im Gesang, aber mit einer bis zu großer Dramatik sich steigernden Emphase bei der berühmten Erzählung „La mamma morta“. Und letztlich auch Stütze des Tenors in den Duetten, den sie erst – so der Eindruck – mitreißen musste zu einer letzten Steigerung. Ja, wenn man von dem sehr nachdrücklich von Jonas Kaufmann dargebotenen „Si, fui soldato“ absieht, war mehr vom schwärmerischen und abgeklärt Elegischen seines Daseins als Dichter zu hören, als es sonst die tenoralen Cheniers gerne tönen lassen. Aber gerade der Verzicht auf die Stimmprotzerei in dieser Rolle machte vielleicht seine Gestaltung sympathischer.

Weniger Sympathie konnte da hingegen Robert Frontali als Carlo Gérard allein schon rollenbedingt ernten, ist er doch nicht mit jener vollmundigen und baritonalen Bösewichtqualität ausgestattet, wie sie hier so viele der vorangegangenen Weltklassesänger in diesem Hause boten. Da wir aber nicht ständig in Wien der Vergangenheit nachtrauern können, sei ihm zugestanden, dass er seine Sache soweit gut und laut hinter sich brachte, was Letzteres ihm auch genügend Applaus einbrachte.

Ausgezeichnet Ilseyar Khayrullova als Bersi, die stimmstarke Beschützerin ihrer einstigen Herrin. Und Donna Ellen bot wieder die köstliche Studie als Vertreterin des verfallenden und verfaulenden Adels, der noch auf den Trümmern Menuette tanzt.

Die Partie der alten Madelon wurde 1960 bei der Premiere der ersten Neuinszenierung nach der Wiedereröffnung der Staatsoper Hilde Konetzni anvertraut, einem Mitglied des „alten“ Ensembles, allerdings einer Sängerin, auf die Karajan gerne zurückgriff. Nun sang sie dieses kurze Arioso, dieses Lamento vom Verlust ihres Enkels derart ergreifend, dass die Vorstellung mehr als fünf(!) Minuten durch den Szenenapplaus für die Sängerin unterbrochen war. Es sei nur vermerkt, dass auch der Umstand, dass hier ein Mitglied des alten Ensembles auf der Bühne stand so manche Rückwärtsgewandte veranlasste, Karajan eines mit diesem Applaus auszuwischen. Trotzdem, sie heimste mehr Szenenapplaus ein als die anderen Stars, die mit dem Namen Tebaldi, Corelli oder Bastianini!
Gestern sang sehr gut – aber nicht so rührend wie damals – Zoryana Kushpler, bekam aber keinen Applaus dafür. Eigentlich unfair.

Weitere Rollendebüts hatten noch: Orhan Yildiz als Roucher, Manuel Walser als Fléville, Carlos Osuna als Incroyable und Ayk Martirossian als Schmidt. Alte Bekannte waren: Alexandru Moisiuc als Tinville, als markanter Gestalter Wolfgang Bankl als Mathieu und Bendikt Kobel als Abbé.

Ganz ohne Partitur mit bekannter Vorliebe für das Dröhnende – so könnte man es nach diesem Abend glauben: Marco Armiliato. Nun sind die sogenannten Merkersitze ganz oben auf der Galerie von unten mit direkter Beschallung durch das Orchester gesegnet. Aber sogar bei den großen Ring-Vorstellungen der letzten Tage hatte ich mehr als oft einen besseren Höreindruck beim gesungenen Wort als gestern. Das sollte zu denken geben.

Nach acht Minuten begann gestern der Schlussapplaus zu schwächeln, nach zwölf Minuten war er beendet. Repertoire mit nur einem Star halt.


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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