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Oper!, April 2018
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Von Stephan Schwarz – Peters |
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Giordano: Andrea Chenier, Gran Teatre del Liceu, März 2018
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Liebe in Zeiten der Guillotine |
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Derzeit konkurrenzlos als Chenier: Jonas Kaufmann |
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Gibt es einen perfekten Opernabend? Ja, es gibt ihn. In Barcelona zum
Beispiel, wo Jonas Kaufmann seine endgültige Empfehlung als Andrea Chenier
unserer Tage abgibt, Sondra Radvanovsky und Carlos Álvarez nicht nur für
lokalpatriotisch motivierten Jubel sorgen und eine im Altersfach
brillierende Anna Tomova-Sintov rührt.
Andrea Chenier hat noch
einen anderen Namen: Er heißt Jonas Kaufmann. Seit einiger Zeit hat sich
Deutschlands Tenorstolz unentbehrlich gemacht, wenn es darum geht, den
Titelhelden in Umberto Giordano´s Revolutionsoper an großen Häusern zu
besetzen. 2015 zunächst in London, dann 2017, an der Seite von Anja
Harteros, in München und aktuell in Barcelona, wo man ihn gleich im
praktisch geschnürten Paket mit David McVicars Covent-Garden-Inszenierung
eingekauft hat. Bewährtes und Gutes. In Erwartung des hohen Besuchers
–hier erstmals in szenischer und nicht nur konzertanter Aktion zu erleben,
breitet sich ein besonderes Leuchten im Gran Teatre del Liceu aus: die
Namen auf dem Besetzungszettel, der neben Jonas Kaufmann weitere
Spitzenkräfte wie Sondra Radvanovsky als Maddalena und Carlos Àlvarez als
Gérard und Anna Tomova-Sintow in der Rolle der alten Madelon ausweist. Was
soll da schiefgehen?
Bei der letzten Premiere in München hatte es
Anflüge von Kritik an der Darstellung Kaufmanns gegeben, aus dessen zuvor
erfolgreich durchgestandenen Stimmbandproblemen man orakelhaft Schlüsse
auf erste Verfallserscheinungen ziehen wollte. Dass hiervon im Liceu keine
Rede sein kann, liegt sicher nicht nur am milden Klima Barcelonas: Zu
sehen war ein Jonas Kaufmann auf der Höhe seiner Kunst, der das vom
Komponisten hingeworfene Sängerfutter mit solcher Leidenschaft auskostet,
dass das geistige Vergnügen, ihn dabei zuzuhören, fast ins Körperliche
umschlägt. Jonas Kaufmann, mehr noch als eine Idealbesetzung, ist Andrea
Chenier. Andrea Chenier ist seine Stimme, in der der poetische Stolz und
die Galligkeit des Improviso ebenso unübertrefflichen Ausdruck finden wie
die hier wundersam vereinten Nuancen aufrichtiger Liebe im Duett „Ora
soave“, vorgetragen in der delikatesten Mezzavoce seines dunkelbraunen
Tenors. Vom ersten Auftritt bis zum letzten „Viva la morteinsiem“, der
Aufbruchsfanfare zum gemeinsamen, per Guillotine herbeigeführten
Liebestod. Bedient Kaufmann den Illusionsapparat der Oper so perfekt, dass
man sich – schockiert, gerührt, fassungslos – unmittelbar in das Geschehen
miteinbezogen fühlt.
Geradezu sympathetisch ist die darstellerische
Übereinstimmung mit Chenier´s weiblichem Gegenpart, Maddalena, die Sondra
Radvanovsky naturgemäß nicht als leicht naives Adelsmädchen anlegt,
welches erst durch die revolutionären Umstände zur Heroine reift, sondern
von Beginn an als gestandene Persönlichkeit, als eine zu allen Opfern
bereite Frau. Natürlich ist es immer so ein Sache mit den Bühnentöchtern,
die älter sind als ihre Bühnenmutter (gekonnt maniriert: Sandra Ferrández
als Gräfin Coigny). Doch lässt Sondra Radvanovsky dieses
Glaubwürdigkeitsproblem im Handumdrehen vergessen, zumal sie in Barcelona
als erklärter Publikumsschwarm in jeglicher Hinsicht Kredit genießt. Kaum
zu glauben, dass sie an diesem Abend zum überhaupt allerersten Mal in
dieser Rolle zu sehen ist. Wie auch im Fall des Tenorpartners ist hier
vollständige Identifikation mit der Figur das Mittel der Überwältigung.
Radvanovsky gebietet gewiss nicht über die schönste Stimme der Welt, auch
hier findet man den vielzitierten essigsauren Ton, den man der Callas so
oft nachgesagt hat. Doch gelingt es ihr vom ersten Moment an, ihr Publikum
auf einer geschickt sich aufbauenden Welle der Emotionalität
davonzutragen, die spätestens in „La Mamma morta“ , Maddalenas berühmter
Szene im dritten Akt, alle Dämme niederreißt: ihre Sprachlosigkeit während
des sich anschließenden fünfminütigen Szenenapplauses steht der Sängerin
deutlich ins Gesicht geschrieben. Vor Rührung kommen ihr die Tränen.
Und Carlos Álvarez? Er ist der Lokalmatador, er ist ein Selbstläufer,
er könnte in Barcelona das Telefonbuch rauf- und runtersingen und würde
dafür noch begeisterten Jubel empfangen. An diesem Abend tut er freilich
mehr als das, als Gérard ist er ein Revolutionär mit sorgfältig
gepflegter, warmer und raumgreifender Baritonstimme, der den ambivalenten
Charakter seiner Figur zwischen aufloderndem Feuer und sanftem
Edelmuteindringlich zu zeichnen weiß. Gerade in dem von John McVicar
einerseits so lebendig gestalteten, andererseits penibel an den
Szenenanweisungen ausgerichteten Kulissentheater, wo die Marat-Büste noch
da steht, wo die Marat-Büste zu stehen hat, wirkt alles so wahr, so nicht
– bloß – behauptet. Einen besonderen Höhepunkt steuert Anna
Tomowa-Sintow in der Rolle des alten, blinden Revolutionsmütterchens
Madelon bei, das den ihm einzig verbliebenen Enkel der Nationalgarde
überantwortet, um so ihren Beitrag zur Verteidigung der Republik zu
leisten. Es ist der Augenblick, in dem die ganze Tragik der geschilderten
Zeitumstände zum Tragen kommt. Fern von jedem kokardenbehängten
Revolutionskitsch gelingt der mittlerweile 76-jährigen Tomowa-Sintow das
rührende Kurzportrait einer einfachen Frau aus dem Volk, der nach einem
Leben voller Schicksalsschläge nichts weiter geblieben ist als
ungebrochene Würde. Diese weiß sie mit großer Geste zu verteidigen.
Auch die übrigen Darstellerinnen und Darsteller der Nebenrollen lassen
keine Wünsche übrig, sei es Yulia Mennibaeva als Bersi, Fernando Radá als
Roucher, Francisco Vas als Incroyable oder Marc Sala als Abbate. Es
zeichnet die Produktion aus, dass hier ebenso sorgfältig gecastet wurde
wie bei den Hauptdarstellern. Die Orchesterleitung liegt bei Pinchas
Steinberg, der bereits vor einigen Jahren der letzten Andrea Chenier am
Liceu geleitet hatte, in den erfahrensten Händen.
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