Der Neue Merker, 29. Juni 2017
Sigi Brockmann
 
Verdi: Otello, Royal Opera House, London, 28. Juni 2017
LONDON/Königliches Opernhaus / Kino im Schlosstheater Münster: OTELLO – eine großartige Ensembleleistung
 
Aus Shakespeare´s Tragödie „Othello der Mohr von Venedig“ schufen Arrigo Boito als Librettist und Giuseppe Verdi als Komponist mit ihrem „dramma lirico“ „Otello“ ein in jeder Hinsicht perfektes musiktheatralisches Meisterwerk, bei dem selbst ein heutiger Regisseur bestenfalls wenige eigene Nuancen einbringen kann. Das tat Regisseur Keith Warner in einer Aufführung des Königlichen Opernhauses Covent Garden, die in 1001 Kinos live übertragen wurde, indem er szenisch verdeutlichte, daß Verdi im Schurken Jago die eigentliche Hauptperson sah und die Oper zeitweise nach ihm benennen wollte. Noch bevor Musikdirektor Antonio Pappano das Orchester des Königlichen Opernhauses zum wilden Beginn der „Sturmmusik“ anfeuerte, sah man Jago ganz kurz mit einer schwarzen und einer weissen Maske auf der Bühne stehen. Die weisse Maske warf er von sich, die schwarze Tragik bedeutend behielt er, um sie letztlich nach seinem Triumph zum Ende des dritten Aktes dem geschlagenen Otello aufzudrücken. Auch das Bühnenbild verschob er mit immer neu auftauchenden Spiegeln, um etwa durch ein fratzenhaftes Spiegelbild Otellos Untergang zu beschleunigen. Dieses Bühnenbild von Boris Kudlička bestand ansonsten häufig aus einem schwarzen Kasten (black box), verschiebbar, vergrösserbar, durch Wände in maurischen Ornamenten teilbar. Dieser wurde im letzten Akt für Desdemonas Todesszene zu einem eher zu grellweissen viereckigen Raum mit darin stehendem Bett verengt. Beim Auftritt der venezianischen Gesandten im dritten Akt wurde ein riesiger Löwe (Otello als „Leon de Venezia – Löwe von Venedig) auf die Bühne geschoben, der im letzten Akt zerbrochen Otellos militärisches Ende darstellen sollte. Die Kostüme von Kaspar Glarner paßten in etwa zur Zeit des Stücks, die unschuldige Desdemona immer in weiß gekleidet, erstaunlicherweise auch die venezianischen Gesandten. Um Desdemona wie nach einem Ritual zu ermorden, war Otello als Maure gekleidet (auf französisch „mor“ ausgesprochen) , brachte einen Krummsäbel mit, Zeichen seiner Herkunft, bevor er in den Diensten Venedigs militärisch Karriere machte. Das war so ganz neu nicht, denn Placido Domingo schlägt es schon in einem im Jahre 2000 erschienen Buch vor. So verlief die szenische Seite der Aufführung dergestalt, daß ein nicht so Opern-erfahrener Kino-Besucher die Handlung nachvollziehen konnte.

Deren Interesse im ausverkauften Kino, auch wohl der Besucher des Opernhauses und vorher der Medien galt wohl mehr, wie Jonas Kaufmann als Otello-Debütant diese extreme Rolle bewältigen würde .Stimmlich gelang es bewundernswert. Gleich zu Beginn des ersten Aktes zeigte er mit dem triumphierenden „Esultate“ (Freut euch) und dem späteren herrischen „Abbasso le spade“ (Weg mit den Schwertern), daß seine Stimme glänzend Chor und Orchester übertönen konnte. Im folgenden Liebesduett mit Desdemona über Glück im Krieg und in der Liebe gefiel sein p-Legato, wobei das etwas abgedunkelte Tenor-Timbre gut mit der Begleitung durch die Celli harmonierte, durchaus auch im Zusammenklang mit Maria Agresta´s Desdemona. Danach wurde es emotional und szenisch schwierig für einen Sänger, der bisher vor allem glückliche und unglückliche, aber meistens sympathische Liebhaber verkörpert hat, hier einen hitzköpfigen Charakter darzustellen, der sich in immer gesteigerten Ausbrüchen von Eifersucht zu einem eiskalt ausgeführten Mord verleiten läßt. Das meisterte er besonders stimmlich, etwa im schwierigen zweiten Akt mit den vielen Spitzentönen oder mit der Arie „Ora et per sempre“ (jetzt und für immer), wo er das Ende seines militärischen Ruhms voraussieht. Die späteren „sangue“ – Rufe mag man expressiver gehört haben, sie blieben aber Gesang und entarteten nicht zum Geschrei. Dafür geriet erschütternd die „voce soffocata“ – Arie (gebrochene Stimme) beim Adagio im dritten Akt fast immer auf dem selben Ton ganz p gesungen zum klagenden Triolenmotiv des Orchesters . Dasselbe galt für für das abschliessende p im letzten Akt. Wie nach dieser Riesenpartie noch so intim „Desdemona morta“ gesungen werden konnte, war schon überwältigend. Schauspielerisch wird er mit häufigeren Auftritten in der Rollengestaltung noch sicherer werden.

Überwältigend im teuflischen Spiel und je nach Handlungssituation variierendem Stimmtimbre war Marco Vratogna als Jago . Im Trinklied des ersten Aktes gelangen Triller und abwärts gesungene chromatische Tonleitern. Beim „Credo“ konnte er sich stimmlich gegen das hier recht laute Orchester durchsetzen und traf den ganz tiefen letzten Ton. Ganz großartig geriet die Erzählung von Cassios angeblichem Traum mit den p gesungenen Schlußversen, Auch das höhnisch schnelle parlando im Gespräch mit Cassio sang er präzise und hatte genügend Stimmkraft für das letzte triumphierende „Ecco il leon“, als er seinen Fuß auf den am Boden liegenden Otello setzte..

Über eine grosse Sopranstimme ohne falsches Vibrato verfügte Maria Agresta als Desdemona. Sie sang sehr legato die von Verdi ausser bei einigen Verzweiflungsausbrüchen für sie immer so schön komponierten und orchestrierten kantablen Melodien und hatte genügend Stimmkraft, um im grossen Ensemble des dritten Aktes leuchtend Chor und Orchester zu überstrahlen. Im Lied vom Weidenbaum im letzten Akt hätte man sich beim dreimaligen „Salce“ (Weide) die stimmliche Abstufung zwischen f, p und pp (wie ein Echo) deutlich hörbarer vorstellen können. Dafür geriet das Ave-Maria und die folgende letzte Kantilene eindringlich.

Unter den weiteren Rollen fiel Frédéric Antoun in der Rolle des leichtsinnigen Cassio mit helltimbriertem wenn nötig kantabel geführten Tenor angenehm auf. Die anderen Rollen waren, wie bei einem Opernhaus der Grösse Covent Gardens nicht anders zu erwarten sehr passend besetzt. Erwähnt seien vor allem Kai Rüütel als mitfühlende Emilia, Ing Sung Sim mit würdigem Bass als Botschafter Lodovico. Simon Shibambu als Montano und Thomas Atkins als leicht verführbarer Rodrigo ergänzten das Ensemble.

Auch der riesige Königliche Opernchor einstudiert von William Spaulding erfüllte alle Erwartungen, mächtig auftrumpfend in der Sturmszene des ersten Aktes und exakt in der folgenden „Feuerszene“ sowie im schwierigen Ensemble im dritten Akt.

Antonio Pappano leitete mit teils raschen Tempi exakt das musikalische Geschehen und ließ das Orchester in den expressiven Stellen mächtig aufspielen, ohne – jedenfalls im Kino – die Sänger zu überfordern. Die farbige Instrumentation Verdis kam besonders im Liebesduett des ersten Aufzuges – hier seien die Celli besonderes gelobt – und im Schlußakt zur Geltung. Im letzteren seien besonders das so ausdrucksvoll klagende Englischhorn zusammen mit den Klarinetten erwähnt, später die klagenden Hörner und Holzbläser vor dem „Ave Maria“ oder das Solo der Kontrabässe vor Otellos Auftritt – so klingt ein Spitzenorchester!

Das Publikum im fast aus verkauften Opernhaus – kurz vor der Vorstellung gab es noch Karten für 240 brit. Pfund – applaudierte vor allem und das in etwa gleichstark Otello, Jago und Desdemona, dann auch Chor, Orchester und besonders dem offenbar beliebten Dirigenten, jedenfalls solange der Kinobesucher es verfolgen konnte.




 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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