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Westfalen-Blatt, 07.04.2017 |
Von Stefan Lind |
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Schubert: Die schöne Müllerin, Gütersloh 5. April 2017
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Die Gütersloher sind verzückt |
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Das Publikum tobt, der Künstler ist überglücklich: Es ist 21.15 Uhr am
Mittwochabend, und das Gütersloher Theater erlebt wieder einmal eine
Sternstunde. Diesmal ist es Startenor Jonas Kaufmann, der den Saal zur
Verzückung gebracht hat.
Die Sponsorengemeinschaft Kultur Plus hat es
möglich gemacht: Der ebenso hochgelobte wie weit gereiste Gast weilt zu
einer Stippvisite in Gütersloh, um Franz Schuberts Liederzyklus »Die schöne
Müllerin« zu singen; ja, er ist schon am Vortag angereist und wurde von Fans
beim Flanieren in der Innenstadt oder bei Kaffee und Kuchen im Café
Fritzenkötter erspäht. Er gibt ein Sonderkonzert im Rahmen der Reihe »Vier
Jahreszeiten«, das ursprünglich für den November 2016 angekündigt war, wegen
einer Erkrankung des Solisten aber ausfallen musste. Kaufmann entschuldigt
sich in seiner Begrüßung artig für die Verzögerung.
Zuvor hat schon
Christian Schäfer, der künstlerische Leiter des Gütersloher Theaters, in
seinen einleitenden Worten augenzwinkernd darauf hingewiesen, dass es
bestimmt die Strahlkraft eines Franz Schubert sei, die das Publikum
angelockt habe. Aber sein humorvoller Einwurf ist der Anstoß für eine
durchaus ernste Frage: Was bekommt der Besucher an solch einem Abend
geboten?
Werbung für das deutsche Kunstlied
Man kann das Konzert unter drei Aspekten betrachten. Vordergründig ist da
der erfolgreiche Sänger, bekannt aus Funk und Fernsehen, wie es immer so
schön heißt. Dass er Gütersloh seine Aufwartung macht, dürfen Veranstalter
wie Publikum als Kompliment verstehen. Und so klebt das Auditorium förmlich
an seinen Lippen, es ist mucksmäuschenstill im Saal, erst nach 70 Minuten
aufmerksamen Zuhörens entlädt sich die Begeisterung in lang anhaltendem
Beifall, der mit drei Zugaben, allesamt ebenfalls von Schubert, belohnt
wird.
Wer dagegen einen Abend mit makellosem Vortrag erwartet hat,
der dürfte leicht enttäuscht nach Hause gegangen sein. Kaufmanns Stimme ist
kraftvoll und wandlungsfähig, sie lässt aber gerade im höheren Bereich und
bei Piano-Passagen eine gewisse Begrenztheit erkennen. In diesen Passagen
glänzt der Tenor nicht so wie sonst. Sein Begleiter Helmut Deutsch, ein
unbestrittener Meister seines Fachs am Klavier, ist in jedem Augenblick voll
konzentriert auf der Höhe des Geschehens, er ist ein ebenso versierter wie
aufmerksamer Virtuose an den Tasten, der sich an der einen oder anderen
Stelle aber zugunsten des Sängers so sehr zurück nimmt, dass man sich
wünscht, das Instrument etwas nachdrücklicher gespielt zu hören.
Geht es aber – Sichtweise Nummer drei – um die Frage, ob dies eine Werbung
für das deutsche Kunstlied war, so ist dies mit einem uneingeschränkten »ja«
zu beantworten. Denn die Art und Weise, wie Jonas Kaufmann mit den zu Grunde
liegenden Gedichten Wilhelm Müllers umgeht, ist ganz großes Können. Die
Textverständlichkeit ist enorm hoch, hinzu kommen die wunderbaren
schauspielerischen Fähigkeiten des Künstlers, der den Personen in der
»Müllerin« mit kleinen aber eindrücklichen Gesten Leben einhaucht, sie
sprechen lässt und so die Zuhörer mit hinein zieht in eine ausgesprochen
bewegte Geschichte, die über 20 Lieder hinweg erzählt wird. Das kann kaum
jemand besser als er.
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