OMM
Von Roberto Becker
 
 
Verdi: Don Carlos, Paris, Oktober 2017
Vokaler Luxus im großen Rahmen
 
Don Carlos - die Oper des großen Italieners nach der Vorlage des ebenso großen deutschen Klassikers, uraufgeführt in Paris. Als französische Variante mit allem Drum und Dran einer grand operá. Und doch ist die vom Komponisten selbst zusammengekürzten italienischen Variante die weit häufiger gespielte. Ein Stück europäischer Musikkultur par excellence ist Don Carlos (oder Don Carlo) damit aber allemal. In Paris ist sie jetzt wieder (fast) in ursprünglicher Länge (ohne Ballett) und in französischer Sprache zu erleben. Zu Zeiten der Uraufführung, als Paris die Welthauptstadt der Oper war, diktierten nicht nur die Unterhaltungsbedürfnisse des zahlenden Publikums die Struktur der Oper, in der kein Ballett fehlen durfte, sondern auch die Fahrpläne der Vorortzüge die Gesamtlänge der Werke. Heute gibt es externe Faktoren anderer Art, vom Aufmerksamkeitsbonus der Besetzungsliste bis zu der Streikfreude der selbstbewussten Gewerkschaften, mit denen sich noch jeder Intendant herumärgern musste. Auch bei der Premiere zur Eröffnung der aktuellen Saison machten am Vormittag noch Streikgerüchte die Runde. Es blieb aber bei einer großen (Macht-) Demonstration der Gewerkschaften, die über den Place de la Bastille an der Oper vorbeiführte. Die ausverkaufte Premiere fand wie geplant statt.

Natürlich die Eröffnungspremiere Chefsache. Also steht Philippe Jordan, den sich die Wiener Philharmoniker ab 2020 gesichert haben, am Pult. Und (ver-)führt sein Orchester zu einer eleganten Opulenz sondergleichen. Ohne herumzuprotzen, mit einem wenn schon, dann kalkulierten Pathos. Doch immer mit Präzision und dem Sinn für das Ganze. Sein Vorteil war, dass er nicht deshalb dosieren muss, damit die Sänger "durchkommen". Das war für niemanden der kaum zu überbietender Weltstars in den zentralen Rollen, aber auch für niemanden von der übrigen ebenfalls handverlesen besetzten Partien ein Problem.

Allen voran begeisterte Elēna Garanča als Prinzessin Eboli - lässig, verführerisch glühend, dann verzweifelt auftrumpfend, aber immer erhobenen Hauptes. Grandios. Sie ist hier eine (fast schon) moderne Frau, die gleichwohl auch (oder besser: bewusst) ihre Attraktivität einsetzt. Und ihr Scheitern am Ende erkennt. Garanča ist in Höchstform. Brilliert mit ihrer technischen Perfektion und mit der kalkulierten Glut ihres Timbres wirkungssicherer denn je. Nach ihrer letzten großen Arie tobt denn auch der Saal. Und das ganz zurecht. Als Rodrigo Posa profitierte der wohltimbriert kernige Ludovic Tézier von der Orientierung der Regie aufs Persönliche, lässt mit der Wärme des Freundes jede ideologische Kälte verschwinden. Bei seinem mit Spannung erwarteten Debüt strahlt der deutsche Jonas Kaufmann als französischer Don Carlos mit wohldosierter, gut fundierter, tragisch überschatteter Leidenschaft. Bestechend klar lodert Sonya Yoncheva als Elisabeth, die sich mühelos gegen jede Orchester oder Ensemblewucht zu behaupten versteht. Dazu Ildar Abdrazakov als Philippe II. und Dmitry Belosselskiy als Großinquisitor mit höchst profunden Basspartien. Jede kleine Rolle ist luxuriös besetzt - der Chor in Hochform! Vokal bot die Bastille-Oper diesmal die Weltklasse einer Referenzbesetzung, die man sich kaum besser zusammengestellt vorstellen kann.

Dass Stéphane Lissner den Polen Krzysztof Warlikowski als Regisseur verpflichtete, versprach zudem einen ambitionierten szenischen Zugriff. Der hatte 2006 im Palais Garnier Glucks Iphigénie en Tauride und an der Bastille Janáceks Sache Markopulos (2007), Parsifal (2008) und Karol Szymanowskis Król Roger (2009) inszeniert. Gehörte damit quasi zu Gerard Mortiers Erneuerungsprogramm für Paris. Im Falle von Don Carlos boten der Regisseur und seine diesmal dominierende Ausstatterin Małgorzata Szcz ęśniak zwar durchaus detaillierte Charakter- und Beziehungsstudien in einem effektvollen Rahmen, kapitulierten aber letztlich vor der Wucht der Tableaus und vor der politischen Dimension des Stoffes. Es gibt schöne Bilder - wie den vom Escorial inspirierten holzvertäfelten Einheitsbühnenraum, in den dann der Fechtsaal der Eboli, das private, mit Sesseln bestückte Heimkino des Königs, das Parlamentsauditorium fürs Autodafé oder der Käfig für den gefangenen Carlos hineingefahren werden. Dazu Kostüme von zeitloser Eleganz (samt Ascot-tauglicher Hutmode) ohne jede Spanienfolklore. Diese Hochglanz-Ästhetik wird allenfalls von einem flackernden Videoschleier wie bei alten Filmen oder Einblendungen eines Carlos mit Pistole an der Stirn gebrochen. Ansonsten erahnen wir nur die Kraft, die es Elisabeth und Carlos kostet, ihre Begegnung im Fontainebleau-Akt und vor allem den Funken, der da übergesprungen war, zu vergessen.

Wir erleben eine Eboli mit (auch wörtlich) gezücktem Degen und einem gefährlich selbstbewussten Format. Oder einen König, der ein paar Drinks braucht, bevor er sich fürs Autodafé aufrafft. Aber erfahren nicht wirklich, was Posa am Schicksal Flanderns eigentlich so umtreibt und wie brutal die Kirche ihre Macht durchsetzt. An die Ketzerverbrennung wird lediglich durch einen symbolisch auf Kommando umfallenden Gefangenen erinnert. Die flandrischen Gesandten treten als parlamentarische Musterschüler auf. Auch die beiden Schlüsselszenen, in denen der König erst mit Posa und dann mit dem Großinquisitor zusammentrifft, kommen nicht wirklich über die Dimension einer privaten Schwäche des Monarchen hinaus. Dafür bekam das Regieteam kräftige Buhs. Ansonsten wurde eine Sternstunde der Oper bejubelt.

FAZIT
Philippe Jordan und ein Ensemble der Extraklasse triumphieren mit Don Carlos.





 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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