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SWR2, 13.3.2017 |
Kulturthema am 13.3.2017 von Peter Jungblut |
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Giordano: Andrea Chenier, Bayerische Staatsoper, 12. März 2017
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Philipp Stölzl inszeniert "Andrea Chenier" in München |
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Revolutionsdrama mit Jonas Kaufmann |
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Obwohl Giordanos "Andrea Chénier" ein echter Publikumshit ist, wurde das
Stück bisher noch nie an der Bayrischen Staatsoper gezeigt. Bis 12.3. Jonas
Kaufman in der Rolle des Dichters Andrea Chenier, Bariton Luca Salsi als
Gerard und eine stimmlich brillante Anja Harteros als Maddalena. Das Thema
erinnert an die aktuelle Flüchtlingskrise, es geht um den Aufstand der
Armen, die endlich ihren Teil vom Wohlstandskuchen wollen. Dazu ein
opulentes Bühnenbild, enorm aufwändig, mit einer klaren Aussage: ihr da
oben, wir hier unten. "Das Münchener Publikum neigt nicht zu derart wüsten
Revolutions-Themen mit ordentlich scheppernder Begleitmusik", sagt
SWR2-Kritiker Peter Jungblut. Er beschreibt einen wirklich stürmischen Abend
in der bayrischen Staatsoper, bei dem Jubel und Protest des Publikums nahe
beieinander lagen.
Die Geschichte geht so, und sie geht unter die
Haut: Die Reichen schwelgen im Luxus, feiern sich selbst, und plötzlich
stehen ungebetene Gäste im Ballsaal - lauter abgerissene, elende Gestalten,
die sagen werden: "Ganz Europa ist gegen uns." Wer dabei an die aktuelle
Flüchtlingskrise denkt, liegt richtig, denn die ist ja nichts anderes als
der Aufstand der Armen, die sich endlich ihren Teil vom Wohlstand
abschneiden wollen, wie seinerzeit die Massen in der Französischen
Revolution. Insofern ist "Andrea Chenier" das Klassenkampf-Stück der Stunde,
noch dazu, wenn es so hochaggressiv dirigiert wird wie von Omer Meir
Wellber.
Jonas Kaufmann als Andrea Chenier
Die
Revolutionsfanfaren und Rührtrommeln klangen in der Bayerischen Staatsoper
so ohrenbetäubend und schrill, dass Teile des Premieren-Publikums ganz
verdattert waren, zumal am Ende effektvoll das Fallbeil herunterrauschte.
Das sorgte für wütende Proteste aus dem zahlreich anwesenden Geld-, Kunst-
und Geburtsadel, zumal der blutige Kopf von Startenor Jonas Kaufmann in die
Höhe gereckt wurde. Er hatte die Titelrolle des Dichters Andrea Chenier
übernommen, der tatsächlich am 25. Juli 1794 enthauptet wurde, zwei Tage vor
dem Ende des großen Terrors. Eine düsteres, blutrünstiges Kapitel
Revolutionsgeschichte, das der Italiener Umberto Giordano 1896 vertont hat,
ganz im Stil des damals schwer angesagten, lebensprallen Verismus, dem es
gar nicht grell und drastisch genug sein konnte. Was wäre da besser geeignet
als ein gesellschaftlicher Umsturz, bei dem quasi über Nacht aus Dienstboten
Folterknechte und aus Herrschaften Staatsgefangene werden?
Großer
Jubel - heftige Proteste
Es hat schon seinen Grund, dass diese
eigentlich sehr erfolgreiche Oper erst jetzt zum ersten Mal an der
Bayerischen Staatsoper inszeniert wurde: Das Münchener Publikum neigt nicht
zu derart wüsten Revolutions-Themen mit ordentlich scheppernder
Begleitmusik. Dennoch war es verwunderlich, wie sehr sich die Meinungen
teilten beim Regiekonzept von Philipp Stölzl. Einerseits großer Jubel,
andererseits heftige Proteste. Der äußere Aufwand war enorm: Stölzl und
seine Ausstatterin Heike Vollmer hatten bühnenhohe Setzkästen mit lauter
zimmergroßen Abteilen entworfen, klar gegliedert nach oben und unten. Die
Unterprivilegierten hausen im Kellergewölbe, die Reichen amüsieren sich
unter Stuckdecken. Das Zuschauen ist anstrengend oder abwechslungsreich, je
nach persönlicher Vorliebe, denn es wird durchgehend simultan gespielt. Das
lenkt von den Sängern ab, streckenweise zu viel, zumal die Kulisse auch noch
knarrend hin und her fährt. Mit diesem üppigen technischen Aufwand hätten
sich locker drei Opern ausstatten lassen. Stölzl kommt vom Film und liebt
märchenhaft-realistische Bilder, wie sie eigentlich nur noch im Musical
vorkommen. Dieser "Andrea Chenier" erinnerte daher optisch sehr an das
beliebte Elends-Epos "Les Miserables", in dem ja auch fleißig blutbetropfte
Fahnen geschwungen werden. Luca Salsi begeistert
Soviel
Bilderbuch-Oper ist heutzutage naturgemäß umstritten. Auf ein
funktionstüchtiges Schafott verzichtete Stölzl ebensowenig wie auf Musketen,
Dolch und Ketten. Anke Winckler hatte dazu Unmengen von Kostümen entworfen,
die allemal für einen republikanischen Triumphzug gereicht hätten. Den
größten Szenenapplaus erhielt überraschender Weise der italienische Bariton
Luca Salsi als düsterer Carlo Gérard. Er begeisterte mit seinem Stimmformat
und seiner Ausstrahlung. Bei Tenor Jonas Kaufmann sind die Erwartungen
natürlich ungleich höher, gilt er doch als einer der weltbesten Sänger
seines Faches. Gemessen daran schlug er sich achtbar, musste aber
gelegentlich forcieren und klang ein, zwei Mal gefährlich rau. Anja Harteros
als leidgeprüftes Revolutionsopfer Maddalena beeindruckte mit technischer
Brillanz und raumfüllender Stimmkraft, ist aber keine besonders glaubwürdige
Schauspielerin. Sie wirkt immer etwas unterkühlt.
Insgesamt ein
wahrhaft stürmischer Abend in der Bayerischen Staatsoper und ein
vergleichsweise schneller Aufbruch des Publikums. Offensichtlich wollte sich
manch einer vor den Zumutungen der Revolution zügig in Sicherheit bringen.
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