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Tiroler Tageszeitung, 14.03.2017 |
Von Jörn Florian Fuchs |
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Giordano: Andrea Chenier, Bayerische Staatsoper, 12. März 2017
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Bombastisches Bildertheater |
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Umberto Giordanos „Andrea Chénier“ mit dem Gesangs-Traumpaar Jonas
Kaufmann und Anja Harteros an der Bayerischen Staatsoper. |
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Bei den Bregenzer Festspielen war das Stück vor sechs Jahren ein Flop, in
den großen Repertoirehäusern taucht es ab und an mal auf und meistens rasch
wieder ab. „Andrea Chénier“ ist ein Paradebeispiel für den Verismo, also
eine recht direkte, handfeste Klang- und Erzähldramaturgie ohne
Schnickschnack, Koloraturarien oder unendliche Melodien.
Umberto
Giordano (1867–1948) erzählt im 1896 an der Mailänder Scala uraufgeführten
Stück von einem erst im Tod vereinten Liebespaar, es wütet gerade die
Französische Revolution. Chénier ist Dichter und eigentlich Adelsgegner,
aber in den Umbrüchen der Zeit gerät er ins Visier von Revolutionären und
endet auf dem Schafott. Seine Angebetete Maddalena folgt ihm freiwillig.
Giordanos Musik tönt oft grob und kantig mit schrillen Effekten und
reichlich Pomp. Am Pult des Bayerischen Staatsorchesters steht mit Omer Meir
Wellber der richtige Dompteur fürs Laute und Brachiale, aber auch die zarten
Stellen (Liebesschluchzen! Sehnsuchtskantilenen!) gelingen gut.
Auf
der Bühne agiert das Lieblingspaar nicht nur des Münchner Publikums: Anja
Harteros und Jonas Kaufmann. Die beiden singen so oft zusammen, man könnte
ein eigenes Abo auflegen. Harteros liefert gewohnte Qualität, will sagen
wundervollste Spitzentöne und traumschön verlöschende Phrasen, all dies in
perfektem Italienisch. Jonas Kaufmann meldet sich nach mittellanger
Krankheitspause zurück, mit starkem und vollem Timbre, kaum manieriert,
lediglich einmal klingt es gaumig verwaschen. Stark auch Luca Salsi (Carlo
Gérard), Doris Soffel (Gräfin von Coigny) oder Andrea Borghini (Roucher)
sowie die von Stellario Fagone präparierten Chöre.
Und die Bühne?
Nach dem Verlassen des Opernhauses erlebt der Rezensent folgende Szene:
Etwas älterer Herr: „Grauslig war das, die Bühne völlig zugeschissen!“ Etwas
jüngerer Herr: „Das war großartig! Wollen Sie, dass das im Krieg, in Syrien
oder so, spielt?“ Der erste Herr: „Grauenhaft, diese zugeschissene Bühne!“
Und so weiter ... Tja, die Staatsoper polarisiert eben gern. Doch diesmal
auf überraschende Weise. Denn Regisseur Philipp Stölzl (der mit Heike
Vollmer auch das Bühnenbild gestaltete) schließt an seine 2015 bei den
Osterfestspielen Salzburg gezeigten „Cavalleria rusticana“- und
„Pagliacci“-Inszenierungen an. Zwischen Naturalismus und Hyperrealismus
schwankt das, mit unzähligen Wimmelbild-Details und pittoresken, durchaus
„perückenden“ Kostümen (Anke Winckler). Anfangs sieht man mehrere Räume
nebeneinander auf zwei Ebenen, oben tanzt der Adel, unten malocht das
Dienstpersonal. Hernach kommen neue Zimmer hinzu, die Standesunterschiede
verwischen allmählich etwas. Stölzls Personenführung ist emphatisch, mit
ziemlich ernstem Zugriff geht er die Sache an. Ein witziger Moment entsteht,
als Chénier/Kaufmann in vokale Schmachtens-Grenzbereiche geht und einer
Reifrockdame darob blümerant wird.
Ist solch ein Historienspektakel
nun wirklich ein Sakrileg? Nein, und zwar aus dem simplen Grund, weil Stölzl
alles konsequent und stilbewusst in Szene setzt. Die nächsten Inszenierungen
im Kriegsgefangenenlager oder Bürgerkrieg kommen eh bald wieder – mit
Sicherheit.
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